Rache - 01 - Im Herzen die Rache
Betonmischer sich drehte. Gleich würde er aufgerichtet, umgekippt, ausgeleert. Sie schrie: »Halt!«, und fuchtelte wie wild mit den Armen, doch sie hätte ebenso gut unsichtbar sein können. Der Arbeiter befand sich zu weit über dem Boden. Der Wind brauste um sie herum, rauschte in ihren Ohren und vermischte sich mit dem Gelächter der drei überirdischen Mädchen. Sie fiel am Rande des Kellerfundaments auf die Knie und blickte hinab in die Grube.
Da war er. JD. Sie konnte seine Haare und sein kariertes Hemd erkennen. Er lag ungefähr zwei Meter unterhalb auf der Erde. Sein linkes Bein war unter einem Stahlrohr eingequetscht. Seine Augen standen offen, blickten jedoch ins Leere. Em wusste nicht genau, ob er sie sehen konnte.
»JD. JD.« Mühsam brachte sie seinen Namen heraus. Er musste ihr einfach antworten. Jetzt. »Bitte, JD. Ich bin hier. Oh Gott. JD. Bitte.«
Er antwortete nicht. Er lag einfach nur da. Über ihr drehte sich die Mischmaschine.
Da kam ihr ein Gedanke, glasklar; der klarste Gedanke, den sie überhaupt an diesem Abend hatte. Ihre Strafe war nicht der Tod. Ihre Strafe war Liebesschmerz. Verlust. Sie sollte denjenigen verlieren, den sie liebte.
Die Furien wollten ihr das Herz brechen.
Ein Schluchzen quälte sich aus ihrer Kehle und ihr war ganz schwindelig. Vor lauter Tränen und Wut konnte sie nichts sehen.
Nein. Nein, das würde nicht ihr Schicksal sein. Die Gedanken kamen stoßweise. Sie war kein Opfer. Sie würde die Furien nicht gewinnen lassen. Von einem ungewohnt mächtigen Adrenalinstoß erfasst, ging sie in die Hocke und sprang in die Mulde zwischen den Rohren, wobei ihr beim Aufprall auf den Boden ein stechender Schmerz in die Beine schoss. Sie hechtete zu der Stelle, an der JD lag, und schob ächzend mit aller Kraft an dem Rohr. Stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um eins und liefen in Endlosschleife. Im Gleichschritt zu schwerem Trommeln. Schieb das Rohr weg. Hol JD da raus. Schieb es weg. Hol ihn. Rette ihn.
JD stöhnte schwach. »Em?«
»Hi. Hallo, JD. Ich bin da. Ich hol dich hier raus.« Er antwortete nicht.
Sie entdeckte einen roten Striemen auf seiner Stirn, sickerndes Blut – das Rohr musste ihn am Kopf getroffen haben, bevor es sein Bein einquetschte. Er musste gekommen sein, um sie zu retten – oder die Furien hatten ihn hergelockt. Sie verfluchte sie und jegliche höhere Macht, die sie geschickt hatte. Vor ihren Augen tauchten Lichtblitze auf, während bitterer Zorn sie durchfuhr und Besitz von ihren Gedanken ergriff. Hass. Hass. Sie hasste sie dafür, was sie ihr antaten. Sie verabscheute sie dafür, dass sie JD hierhergeschleift hatten. Das war keine Gerechtigkeit. Das war einfach nur grausam.
Sie hatte keine Ahnung, ob sie immer noch auf sie warten würden, wenn sie hier herauskam; das Einzige, worauf sie sich im Augenblick konzentrieren konnte, war ohnehin JD. Sie würde ihn befreien. Ihre Muskeln brannten wie Feuer, doch sie ließ nicht nach. Sie schob fester.
»Halt durch«, sagte sie ebenso zu sich selbst wie zu ihm. »Halt bloß durch, JD.«
Und dann rutschte das Rohr mit einem letzten Ruck von JDs Bein. Ems Arme und Rücken schmerzten vor Anstrengung. Blut drang durch JDs Hose. Em blickte hinauf zu dem Betonmischer. Der hintere Teil bewegte sich langsam nach oben. Gleich würden sie lebendig begraben werden.
Sie drehte JD auf die Seite und er zuckte vor Schmerzen zusammen. »Okay, wir setzen uns in Bewegung. JD, ich bringe dich jetzt hier weg, ja?« Seine Augenlider zuckten und sie glaubte, auch ein ganz schwaches Nicken zu erkennen.
Sie kniete sich hin, packte seinen rechten Arm und legte ihn sich um die Schultern. Etwas wackelig setzte sie einen Fuß auf, drückte sich dann, jetzt beide Füße auf dem Boden, mit den Oberschenkeln ab und erhob sich. JDs komplettes Gewicht lastete nun auf ihrer linken Körperhälfte. Sie ergriff sein Handgelenk vor der Brust und hielt ihn ganz fest. Sie spürte sein Herz durch ihrer beider Körper schlagen. Spürte, wie das Blut von seinem Bein feucht durch ihre Jeans drang. Sie machte einen unbeholfenen Schritt vorwärts und dann noch einen. In jeder einzelnen Zelle ihres Körpers pulsierte die Hast. JD war so groß, dass seine Füße hinter ihnen herschleiften. Sie holte Luft und machte einen Schritt. Holte Luft und machte einen Schritt. Er stöhnte wieder, in ihr Schulterblatt hinein. Durch die ungewöhnliche Gewichtsverteilung hatte sie das Gefühl, sich an Deck eines
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