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Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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ich zwei Zehntausenddollarstaatsanleihen, und auf meinem Girokonto lagen sechstausendachthundert Dollar.
    Meine Miete betrug tausenddreihundertfünfzig und meine übrigen monatlichen Ausgaben lagen nicht über tausend Dollar, wahrscheinlich darunter. Zum Anziehen kaufte ich nur selten etwas, ich fuhr auch nicht oft in Urlaub und besaß kein Auto. Ich konnte also wenigstens zwei Jahre leben, ohne auch nur einen Cent zu verdienen. Das war ein gutes Gefühl.
    Ich griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer.
    »Hallo?«, sagte die seltsame neue Empfangsdame.
    »Ist Brad da?«
    »Einen Augenblick«, sagte sie und legte mich in eine Warteschleife, meldete sich aber sofort wieder und fragte: »Wen darf ich melden?«
    »L.«, sagte ich.
    »Mr L.?«
    »Sagen Sie einfach nur L.«
    Zurück in der Warteschleife, musste ich lachen. Seit meiner Teenagerzeit hatte ich nicht mehr so gelacht. Als Brad in die Leitung kam, kicherte ich immer noch.
    »Cordell?«, fragte er. »Sind Sie das?«
    »Wie geht’s, Brad?«
    »Bestens, aber meine Sekretärin ist stinkig.«
    »Warum?«
    »Weil Sie unfreundlich zu ihr waren.«
    »Wie heißt sie?«
    »Linda Chou.«
    »J-O-E?«
    »C-H-O-U.«
    Während ich mir den Namen aufschrieb, sagte ich: »Hören Sie, Brad, kennen Sie Lucy Carmichael?«
    »Nein.«
    »Sie war Studentin an der NYU, als Sie dort einmal einen Vortrag gehalten haben. Sie ist Fotografin.«
    »Ja? Wie sieht sie aus?«
    »Ich habe meinen Job als Übersetzer geschmissen«, sagte ich. »Ich glaube, ich werde von jetzt an Künstler vertreten.«
    »Geschmissen? Ich dachte, Sie waren selbstständig«, sagte Brad.
    »Das bin ich. War… war ich. Aber ich habe keine Lust mehr. Ich glaube, ich sollte mich als Agent versuchen.«
    »Und diese Lucy Carmichael wird Ihre erste Klientin?«
    »Ja, Sir. Sie hat Fotos von Kindern im Sudan gemacht, die einem das Herz zerreißen. Ich bin sicher, eine von Ihren Galerien in Midtown springt darauf an. Könnten Sie mir da weiterhelfen?«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, L. Sie klingen wie ein Wahnsinniger.«
    »Nein«, sagte ich. »Absolut nicht. Ich bin nur diese verdammten kleinen Aufträge leid, meinen Agenten und das ewige Feilschen um mein Honorar.«
    »Glauben Sie, dass ich nicht um mein Geld kämpfen muss?«
    »Werden Sie mir helfen, Brad?«, fragte ich meinen ältesten New Yorker Bekannten.
    »Sie geben also das Übersetzen einfach so auf?«, fragte er.
    »Ich habe lange darüber nachgedacht, und schließlich ist mir klar geworden, dass es nicht anders geht. Dann habe ich diese Bilder gesehen und mir gesagt, es ist Zeit, einen neuen Anfang zu wagen.«
    Ich saß auf dem Sofa in meinem Wohnzimmer. Die Sonne schien herein und der Wind blies über mich hinweg. Die DVD lief wieder, aber der Ton war abgedreht. Sisypha traf sich mit Mel tagsüber in einem Cafe. Während sie sich unterhielten, trat eine große, sehr schöne schwarze Frau an ihren Tisch.
    »Hören Sie zu«, sagte Brad. »Wenn Sie versprechen, wenigstens für mich weiterhin zu übersetzen, werde ich sehen, was ich tun kann.«
    »Sicher«, sagte ich, »kein Problem.«
    »Okay«, sagte Brad. »Ich bitte Linda, Ihnen eine Liste der Galerien zuzufaxen, die an solchen Arbeiten interessiert sein könnten.«
    Sisypha kannte die schwarze Frau. Sie stand auf und küsste sie auf den Mund. Die Frau gab Mel die Hand und setzte sich.
    »Vielen Dank, Brad«, sagte ich, während ich den DVD-Spieler ausschaltete. »Ich brauche das wirklich.«
    »Was Sie brauchen, ist ein Hirnklempner«, sagte Brad.
    »Wir hören voneinander«, sagte ich.
    So stand ich an der Schwelle meines neuen Lebens, atmete tief durch und fühlte im Innersten meiner Brust einen Schmerz – einen Schmerz, der körperliche Gründe hatte, aber auch mein Herz betraf.
     
     
    »Könnte ich bitte mit Lucy Carmichael sprechen?« , fragte ich die Frau, die bei Teletronics, einem der zahllosen neuen Handy-Betreiber, ans Telefon ging.
    »Wen darf ich melden?«
    »Cordell Carmel.«
    »Einen Moment, bitte.«
    Während ich wartete, übte ich das Schließen und Offnen meiner rechten Hand. Das entzündungshemmende Mittel zeigte Wirkung. Ich brachte meine Finger weit genug zusammen, um meine längst nicht mehr so stark geschwollene Hand wie eine Bärentatze aussehen zu lassen. Es tat immer noch weh, aber das machte mir irgendwie Hoffnung.
    »Hallo?«
    »Lucy?«
    »Mr Carmel.«
    »L. Alle nennen mich L.«
    »Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell wieder von Ihnen zu hören«, sagte

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