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Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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nimmst und sie einfach nur anschaust, glaubst du zu wissen, was du da siehst. Nur stimmt das nicht ganz.«
    »Warum nicht?«, fragte sie und nahm meine Worte offenbar sehr ernst.
    »Weil es die Tasse in deinem Kopf ist«, sagte ich, »eine unvollkommene, vielleicht auch idealisierte Erinnerung. Wahrscheinlich hast du dir diese eine, besondere Tasse vor dir auf dem Tisch nie näher angesehen. Sie gehört dir, du benutzt sie seit Jahren, aber die kleine Macke unter dem Henkel ist dir nie aufgefallen, genauso wenig wie die Stelle, an der die Glasur Blasen geworfen hat und der Ton unbedeckt geblieben ist.«
    »Du hast recht«, sagte sie. »Ich sehe sie mir gerade genauer an. Ich habe sie von einem Flohmarkt in Northampton, als ich ein Semester am Smith College studierte. Für mich ist es eine blaue Tasse, aber jetzt sehe ich, dass nur ein Teil von ihr blau ist. Eine Hälfte ist seegrün, und das Grün hat winzige goldene Einsprengsel.«
    »Wahrscheinlich könntest du den ganzen Tag damit zubringen, ein Stück Geschirr zu betrachten, und alle paar Minuten würde dir etwas Neues auffallen. Da steckt womöglich ein ganzer Roman drin.«
    Ich dachte, dass das alles College-Kram war. Solche Überlegungen stellten junge Leute an, wenn sie in ihrer Studentenbude über Gott und die Welt philosophierten. Und doch bedeutete es mir mehr. Ich empfand das, was ich da sagte, in dem Moment wirklich so. Mein ganzes Leben lang hatte ich den Blick über alle möglichen Dinge gleiten lassen, ohne je richtig hinzusehen, hatte nie wirklich gewusst, was ich gerade erlebte oder verpasste.
    »Ich wollte mit dir über etwas sprechen«, sagte Lucy.
    »Klar«, sagte ich. »Die Galerien…«
    »Nein«, sagte sie. »Nein. Ich erwarte gar nicht, dass du so schnell schon etwas erreichst.«
    Noch bevor ich ihr widersprechen konnte, fuhr sie fort: »Es ist wegen neulich nachts.«
    »Ja?«
    »Ich wollte mit dir darüber sprechen.«
    »Gut«, sagte ich und dachte, vielleicht würde mich das von meinen morbiden Gedanken abbringen. »Ich hoffe, du bist nicht zu böse auf mich.«
    »Oh nein«, sagte Lucy. »Nein, überhaupt nicht. Ich bin nur überrascht, dass es mit jemandem passiert ist, der so viel älter ist als ich. Böse bin ich dir ganz sicher nicht. Ich hoffe nur, du hältst mich nicht für eine Schlampe.«
    »Ich denke, dass du ein ganz wundervoller Mensch bist«, sagte ich und kam mir dabei komisch vor, weil mich der Ausdruck an einen ziemlich schnulzigen Song erinnerte.
    »Ich auch.«
    »Du was?«
    »Billy hat mich Sonntagabend besucht«, sagte sie. »Er blieb über Nacht, und ich weiß jetzt, dass er keine Ahnung von Frauen und ihren Gefühlen hat. Er ist ein netter Kerl und ich mag ihn sehr, aber er hat mich nie wirklich angefasst. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ist es wie mit dem Blick auf die Tasse?«
    »Genau«, sagte Lucy. »Hör zu, L. Meine Gefühle machen mich sehr, sehr verlegen. Ich habe immer geglaubt, dass Männer und Frauen ebenbürtig sind und sich auf gleicher Augenhöhe begegnen sollten. Aber Sonntagabend wollte ich, dass mich Billy richtig durchvögelte, stattdessen war unser Sex wie immer völlig unaufregend. Ich… ich habe ihn geschlagen…«
    »Warum?«, fragte ich.
    »Ich weiß es nicht. Ich lag auf ihm, und er sah mich mit seinem Welpengrinsen an, da verlor ich die Beherrschung und habe ihn geschlagen. Und als er jammerte und fragte, warum, habe ich ihm gleich noch eine verpasst.«
    Ich hielt mir die Hand vor den Mund, damit sie mich nicht lachen hörte.
    »Und dann?«, fragte ich.
    »Er wusste nicht, wovon ich redete. Ich erklärte ihm, ich wolle Leidenschaft. Ich sagte, ich wolle, dass er mir wehtue, statt mich nur zu begehren. Ich wollte, dass er zurückschlug. Ich bin fast durchgedreht. Bis ich endlich begriff, dass du es warst, den ich wollte, Cordell.«
    »Ich?«
    »Ich… ich wollte da weitermachen, wo wir Samstagnacht aufgehört hatten. Hör zu«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass ich so etwas irgendjemandem ins Gesicht sagen könnte. In der Nacht bei dir konnte ich mich im Spiegel deiner Schranktür sehen.«
    Ich versuchte mir vorzustellen, was sie da gesehen haben mochte.
    »Ich kann mir gerade nicht so recht vorstellen«, sagte ich, »in welcher Position zum Spiegel wir uns befunden haben.«
    »Du konntest es nicht sehen«, sagte sie mit leiser Stimme. »Bleib mal einen Moment dran.«
    Ein gedämpftes Geräusch drang durchs Telefon, dann war sie zurück.
    »Meine Chefin wollte etwas von mir, aber ich habe ihr

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