Rache auf leisen Pfoten
immer wieder auf die eine oder andere Art zu verstehen gegeben, dass er sich seine Unarten abgewöhnen muss. Er hat nicht auf sie gehört. Da hat sie ihm jemand anders abgewöhnt, nicht dass das rechtens wäre. Keiner hat das Recht, jemandem das Leben zu nehmen. Diese Macht steht einzig und allein Gott zu.«
»Tucker, riechst du was?«, rief Murphy hinunter.
»Nein, bloß, dass Jim Sanburne Hundepisse am Schuh hat. Mims Hund hat ihn bestimmt angepinkelt, und Jim hat’s nicht mal gemerkt«, berichtete der Hund genüsslich. »Allerdings konnte ich noch nicht alle beschnuppern. Hier ist zu viel Betrieb.«
Boom Boom stürmte zur Tür herein und legte atemlos ihre zierliche Hand ans Herz. »Ist das zu fassen? Direkt nach unseren Jahresbesten-Aufnahmen.«
»Bist du nicht froh, dass du deine Aufnahme zuerst gemacht hast?«, fragte Harry trocken. »Jetzt werden zwei Leute auf unseren Aufnahmen fehlen. Sonst wären es drei gewesen.«
»Harry, ich fass es nicht, dass du das gesagt hast.« Boom Boom verschränkte die Arme. »Denkst du wirklich, ich würde mir mehr Sorgen um unsere Jahresbesten-Fotos machen als um ein Menschenleben?«
»Kurz und bündig, ja.« Harry verschränkte ebenfalls die Arme.
»Das wird spannend«, schnurrte Pewter aufgeregt.
»Unser Klassenkamerad ist tot!« Boom Boom kreischte es beinahe. »Nach dem verdammten Brief, den du verschickt hast.«
»Ich hab den dämlichen Brief nicht verschickt!« Harry senkte die Stimme, statt sie zu heben.
»So etwas würde Harry nie tun«, sagte Fair nüchtern.
»Sie stochert gern im Mist.«
»Das musst du gerade sagen.« Harry ging gegen Boom Boom in Kampfstellung.
»Schweigen Sie!«, befahl Big Mim. »So kommen wir nicht weiter. Es geht hier um den Mord an Charlie, nicht um Ihre alten Fehden.« Sie wandte sich an ihren Mann. »Wenn man jeden untreuen Mann in Crozet erschießen würde, wer bliebe dann übrig?«
»Bitte, Schatz, schlafende Hunde soll man nicht wecken.« Seine Bass-Stimme dröhnte.
»Wir sprechen hier nicht von schlafenden Hunden«, blaffte Mim.
Little Marilyn zupfte an den Schößen ihrer weißen Leinenjacke und unterdrückte ein Lächeln.
»Wir sind alle aufgewühlt.« Herb glättete die Wogen. »Schließlich haben wir alle, mit Ausnahme der zwei reizenden jungen Neuzugänge in unserer Gemeinde« – er nickte Chris und Marcy zu –, »Charlie von Kind auf gekannt. Ja, er hatte Fehler, aber ist jemand unter uns, der vollkommen ist?«
Gedämpfte Stille senkte sich über den Raum.
»Ich bin vollkommen«, trällerte Pewter, worauf alle Menschen zu ihr hinsahen.
»Oh, là, là!«, sagte Mrs Murphy lachend.
»Mädels, die Lage ist ernst.« Der Corgi runzelte die Stirn. »Früher oder später wird der Mörder auftauchen, und wenn er nun hier auftaucht?!«
»Du sprichst ein wahres Wort.« Mrs Murphy reckte und streckte sich.
»Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich vollkommen bin.«
»Harry, was gibst du ihnen zu fressen?«, fragte Chris vergnügt, und das löste die Spannung.
Wieder erfüllte Gemurmel den Raum, aber die verbitterte Atmosphäre schwand.
Herb beugte sich zu Harry hinüber. »Was hat es mit den Briefen auf sich?«
»Ich zeig’s Ihnen.« Sie ging zu dem kleinen Tisch, wo sie die Post von drei Tagen abgelegt hatte. Sie kam zurück und reichte sie über den Schalter.
Er las. »Kann allerlei bedeuten.«
»Eben«, stimmte Harry zu.
»Aber es ist unheimlich«, mischte Boom Boom sich ein.
»Allerdings, zumal wir es durch die Linse von Charlies Tod betrachten«, erwiderte Herb besonnen.
Fair stützte sich mit einem Ellbogen auf die Schalterklappe. »Ich würde das nicht zu schwer nehmen, solange nicht noch etwas passiert – etwas, äh, Schlimmes.«
Marcy war schweigsam und befangen, Chris dagegen beteiligte sich an dem Gespräch. »Das finde ich auch, aber Ehemaligentreffen sind ja mit so viel befrachtet. Die vielen Erinnerungen.«
»Ich habe einfach wunderbare Erinnerungen.« Fair zwinkerte Harry zu, die rot wurde.
»Du warst eine Klasse höher. Wir haben womöglich verschiedene Erinnerungen.« Boom Boom seufzte.
»Ich dachte, es war wunderbar für dich – besonders das Abschlussjahr«, sagte Harry.
»War es auch.«
»Na also, Boom, wovon redest du dann?«
Mrs H., die eine neue Kabbelei befürchtete, ließ die Sanburnes und Marcy Wiggins stehen und ging hinter die Trennklappe. »Lassen Sie mich Ihnen etwas über die Erinnerung erzählen. Sie spielt einem Streiche. Je weiter ich mich von meiner Jugendzeit
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