Rache auf leisen Pfoten
erzählt?«
»Fair, er ist doch gerade erst hier eingezogen.«
»Scheint ein netter Mensch zu sein.«
»Miranda hat ihn gern. Mir ist aufgefallen, dass sie in seiner Gegenwart nicht halb so oft aus der Bibel zitiert, wie sie es bei uns tut.«
Fair beugte sich lachend über den Zaun. Poptart bockte, drehte sich herum und bockte wieder.
Sie gingen zurück ins Haus. Der Abend wurde langsam kühler. Tracy war Big Mim besuchen gegangen. Harry und Fair setzten sich mit Murphy, Pewter und Tucker in die Küche.
»Wirklich alles okay mit dir?« Er nahm ihre Hand.
»Ja.« Sie drückte seine Hand. »Es hat mir einen Mordsschrecken eingejagt. Mim und ich sind beinahe umgekippt.«
»Ich wäre bestimmt auch ohnmächtig geworden.«
»Eine Leiche ist schon schlimm genug, aber so was« – sie hielt inne – »Widersinniges … das hat mir einen Schock versetzt.«
»Sieht ganz so aus, als würde dieses Ehemaligentreffen, äh … ereignisreich.«
»Das ist es ja eben.« Sie wurde plötzlich lebhaft. »Ich kann mich an nichts von der Highschool erinnern. Ich meine, ich erinnere mich an nichts Schreckliches, das zur Rache herausfordern könnte. Schon gar nicht im Abschlussjahr.«
»Tja. Ich kann mich auch an nichts erinnern. Aber vielleicht ist in deinem letzten Jahr etwas vorgefallen. Du weißt ja, manchmal sind die Dinge verschwommen, oder man ist kurz davor, sie zu fassen. Ich war damals ja schon im ersten Collegejahr. Ich weiß aus dem Jahr nur noch, dass ich dich vermisst habe.« – »Ich habe dir jeden Tag geschrieben. Kaum zu glauben, dass ich mal so diszipliniert war.« Sie lachte.
»Vielleicht hast du mich geliebt«, vermutete er leise.
»Ja. Ach Fair, das waren Zeiten, herrlich und schrecklich zugleich. Man empfindet alles zum ersten Mal. Man hat keine Perspektive.«
»Du hattest eine Perspektive, als wir geheiratet haben. Ich meine, du hast vorher genug andere Männer gekannt.«
Sie tätschelte seine Hand, nahm ihre fort, bemerkte dann, dass die Tiere sie reglos beobachteten. »Voyeure.«
»Interessierte Anteilnahme.« Murphy lächelte.
»Wenn’s hier gefühlsduselig wird, gehe ich«, warnte Pewter. »Quatsch. Du bist genauso neugierig wie wir«, kicherte Tucker.
»Ich hab das Gefühl, wir sind heute Abend das Unterhaltungsprogramm«, sagte Fair zu den Tieren.
»Stimmt«, erwiderte Pewter.
»Sie sind meine Familie«, sagte Harry.
»Ich gehöre auch dazu. Ob’s dir passt oder nicht.« Fair beugte sich vor.
»Kannst du dich erinnern, wie einem damals zumute war? Der Aufruhr der Gefühle? Das Gefühl, sein eigener Herr zu sein?«
»Ich erinnere mich. Die Menschen werden auf mannigfache Weise erwachsen. Manchmal bleiben sie stehen. Ich glaube, Charlie ist stehen geblieben. Er ist nie über die Highschool rausgekommen. Leo ist drüber rausgewachsen, aber seine Reaktionen sind so impulsiv wie eh und je. Susan ist gereift.« Er dachte einen Augenblick nach. »Ich auch, glaube ich.«
»Und ich?«
»Ja, aber du wirst nie wieder jemandem trauen.«
»Ich traue Mrs H. Ich traue Susan.«
»Männern hätte ich sagen sollen. Du wirst Männern nie mehr trauen.«
»Ich traue Market.«
»Harry, du weißt, was ich meine. Du wirst Männern als Objekten romantischer Gefühle nicht trauen. Du wirst keinen Mann mehr in dein Leben lassen.«
»Vermutlich.« Ihre Stimme klang resigniert.
»Ich bin heute Abend vorbeigekommen, um zu sehen, wie’s dir geht – und auch, um die Pferde zu untersuchen. Ich weiß nicht, ob es an deinem Ehemaligentreffen liegt oder daran, dass ich auf die vierzig zugehe … an den Morden oder daran, dass dieser Sommer außergewöhnlich schön war, aber was immer es ist – ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt, auch, als ich mich wie ein Idiot benommen habe. Und ich glaube, dass du mich liebst. In deinem tiefsten Inneren.«
Sie sah ihm in die klaren hellen Augen. Erinnerungen. Ihr erster Kuss. Tanzen auf dem Footballfeld zur Musik aus dem Autoradio. In Fairs altem 1961-Chevrolet-Transporter in die Kolonialstadt Williamsburg fahren. Lachen. Und schließlich Liebe.
»Vielleicht ist es so.«
»Unsicher?«
»Nein, sicher.«
Er beugte sich über den Tisch und küsste sie.
»Es wäre romantischer, wenn sie sich gegenseitig die Köpfe putzen würden«, fand Pewter.
»Sie sind keine Katzen«, sagte Mrs Murphy.
»Niemand ist vollkommen.« Tucker brach in Lachen aus.
27
Um sieben Uhr morgens weichte ein Dunstschleier die Konturen der Bäume, Gebäude, Brücken auf. Rick Shaw
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