Rache auf leisen Pfoten
Charlie wurde kurz danach HIV-positiv und zeigte keine Krankheitssymptome. Mit anderen Worten, er war HIV-positiv, hatte aber noch kein Aids entwickelt. Ich weiß nicht, ob Tiffany davon wusste. Sie wird natürlich von dem Herpes genitalis gewusst haben, und zweifellos hatte sie den Verdacht, dass irgendwo uneheliche Kinder herumliefen.«
»Mehr als das eine?« Cynthia war überrascht, fragte sich jedoch sofort, warum eigentlich.
»Ja – aber nur das eine lebt hier. Die anderen sind außerhalb der Stadt.«
»Mein Gott, ist er für sie aufgekommen?« Wie die meisten Frauen hatte Cynthia einen starken mütterlichen Zug, und es war ihr unbegreiflich, wie manche Männer gegenüber ihren Abkömmlingen so gleichgültig sein konnten.
»Soviel ich weiß, hat er nichts dergleichen getan.« Larry stand von seinem Stuhl auf und setzte sich den beiden gegenüber auf die Schreibtischkante. »Wir sind Profis. Sie und ich sehen Dinge, die die meisten Leute nicht sehen und nicht sehen wollen. Gefühlsduselei dürfen wir uns nicht leisten. Das gelingt mir nicht immer, und es gab Zeiten, da hätte ich Charlie umbringen können – und doch hatte ich ihn gern.«
»Larry, die Mutter könnte ein starkes Motiv gehabt haben, Charlie umzubringen.«
»Aber nicht heute. Das Kind ist fast erwachsen, und es besteht keine Gefahr, dass es infiziert ist. Charlie wurde siebzehn Jahre nach der Geburt des Kindes HIV-positiv. Was die andere Frau angeht, warum sollte sie ihn heute umbringen? Überdies, Rick, scheinen die Morde an Charlie und Leo von ein und derselben Person begangen worden zu sein, stimmt’s?«
»Ja.«
»Die Verbindung ist die Lösung, und damit kann ich nicht dienen.« Er räusperte sich. »Wann erhalten Sie Leos Autopsiebericht?«
»Nicht vor nächster Woche. Alle sind in Urlaub. Die Dienststelle des Leichenbeschauers ist unterbesetzt.«
»Soll ich anrufen und bitten, dass ein Bluttest gemacht wird?«
»Ja, danke. Wenn beide HIV-positiv waren, wäre das ein Anfang.«
»Ich rufe sofort an. Wir können zusammen mit ihnen sprechen.« Er sah auf die Uhr auf seinem Schreibtisch. »Jetzt dürfte jemand dort sein.«
Den ganzen Tag dachte Cynthia an den jungen Menschen in Crozet. Sie hoffte, er würde Charlies Aussehen und Intelligenz geerbt haben, nicht aber seine ungeheure Verantwortungslosigkeit. Dann dachte sie, dass sie jeden Tag Menschen begegnete, ohne sie richtig zu sehen. Sie waren alle aneinander gewöhnt. Wenn jemand Charlie ähnlich sah, war es ihr entgangen.
28
Das Gebrumm einer Hummel, das mit jedem Moment lauter wurde, war Mrs Murphy so lästig, dass sie ihr funkelndes grünes Auge aufschlug. Das Kunstwerk von einem Insekt schwirrte näher. Murphy schlug mit einer Pfote nach ihm, aber das große schwarz-gelbe Geschöpf wich ihr aus.
»Bist nicht mehr gut in Form«, bemerkte Tucker lakonisch.
»Quatsch. Ich lieg auf der Seite. Hätte ich gesessen, dann hätte die Brumme keine Chance gehabt. Allerdings, wenn ich gesessen hätte, hätte sie sich gar nicht in meine Nähe getraut.«
»Jaja«, sagte Tucker, die ebenfalls unter einem Hortensienstrauch auf der Seite lag.
Mrs Murphy setzte sich auf. »Wo ist Pewter?«
»Im Postamt. Von der Klimaanlage weggehen? Die doch nicht. Ha!«
Die Hitze wurde immer drückender. Mrs Murphy und Tucker hatten am späten Vormittag das Postamt verlassen, um sich in Mirandas Garten umzuschauen. Sie hatten es gar nicht so heiß empfunden, aber bis auf eine leichte anhaltende Streifenhörnchenwitterung konnten sie nichts Interessantes entdecken, und deshalb waren sie eingeschlafen.
Boom Booms eleganter BMW kam durch die Gasse gefahren. Sie parkte hinter dem Postamt und stieg auf der Fahrerseite aus. Marcy Wiggins und Chris Sharpton stiegen ebenfalls aus.
Chris warf einen Blick auf den Müllcontainer und schauderte.
»Ich hätte wohl besser nicht hier parken sollen.« Boom Boom hielt sich die Hand vor den Mund. »Ich hab nicht dran gedacht. Ich habe die ganze Sache emotional noch nicht verarbeitet, immer noch so viele ungelöste …«
»Gehen wir rein.« Chris schnitt ihr das Wort ab, bevor Boom Booms Gejammer erst richtig zum Ausbruch kam.
Marcy starrte fortwährend auf den Container. »Ich habe gehört, er war über und über voll Maden.«
»Nicht.« Chris schüttelte den Kopf. »Hör auf damit.«
Marcy fing an zu zittern.
Tucker und Mrs Murphy schlichen an die Grenze von Mirandas Garten, um besser zu hören.
»Marcy, wird dir schlecht?« Boom Boom wollte ihr zur
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