'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Vermutung fußte auf der Tatsache, dass Nora während einer damaligen Mordserie sehr viel Zeit mit Tommy verbracht hatte. Weil Timos Befürchtung in Noras Augen jedoch vollkommen absurd gewesen war, hatte sie sie nicht wirklich ernst genommen und daher nicht unverzüglich aus der Welt geschafft. Zumal die Jagd nach dem damaligen Mörder ihre Konzentration und ihren Einsatz gänzlich in beruflicher Hinsicht gefordert hatte.
Doch nun wusste Nora nicht, ob sie noch einmal die Möglichkeit bekam, auch nur ein einziges Wort mit Timo über dieses Thema zu wechseln. Kurz nach Abschluss der damaligen Morde war Timo nämlich in einen schrecklichen Autounfall verwickelt worden und lag seit dieser Zeit im Koma.
Wie kostbar jede einzelne Sekunde ist, in der nichts Schlimmes geschieht. Wie dankbar ich für jeden Augenblick sein sollte, den ich gesund erleb…
Der Vibrationsalarm ihres Handys ließ Nora in ihrer Überlegung innehalten. Sie fischte das Gerät aus ihrer Jeanstasche und begab sich zur Tür. Nachdem sie auf den Flur hinausgetreten war, wischte sie sich mit der Hand über ihr Gesicht und nahm den Anruf entgegen. „Ja? Hier Feldt?“
„Endlich gehen Sie dran! Ich habe schon ein paar Mal versucht, Sie zu erreichen!“
Am drängenden Tonfall ihres Vorgesetzten erkannte Nora sofort, dass es sich um eine ernsthafte Angelegenheit handeln musste. In dem Versuch, ihre beängstigenden Gedanken um Timo für einige Sekunden zu verdrängen, fragte sie: „Was gibt es? Was ist passiert?“
Frederik Kortmann antwortete nicht gleich. Er schien zu überlegen, wie er Nora die schlechten Neuigkeiten übermitteln sollte. Erst nach mehreren Augenblicken verkündete er: „Es ist sehr ernst. Es geht um Thomas.“
Noras Herzschlag setzte aus. Ihre Augenlider begannen zu zittern.
Nein, das darf nicht wahr sein! Nicht auch noch Tommy!
„Was ist mit ihm? Geht es ihm gut?“
„Nicht wirklich. Er wurde heute Abend brutal niedergeschlagen.“
„Großer Gott. Er wurde überfallen? Ist er -“
Sie konnte förmlich spüren, wie Frederik seinen Kopf schüttelte, als er sie mit den Sätzen unterbrach: „Nein, er wurde nicht überfallen. Vielmehr wurde er … nun, das ist eine längere Geschichte. Am besten kommen Sie schnell hierher. Ich werde Ihnen vor Ort alles erklären. Wir sind in Korns Nachbarwohnung.“
Jetzt verstand Nora nur noch Bahnhof. In seiner Nachbarwohnung? Warum denn das? Was ist denn nur geschehen?
Sie wollte diese Fragen gerade laut stellen, als Kortmann ohne weitere Erklärungen einfach auflegte.
Nora erstarrte zu Salzsäule. Sie wusste weder ein noch aus. Schreckliche Gedanken schossen ihr wie Giftpfeile durch den Kopf: Wurde Tommy ernsthaft verletzt? Schwebt er eventuell sogar in Lebensgefahr? Warum hat Kortmann mir in dieser Hinsicht keine Auskunft erteilt?! Wieso hat er einfach wieder aufgelegt?!
Sie steckte das Handy zurück in die Tasche und ballte ihre Hände zu Fäusten. Ein Problem kommt nie alleine. Nie! Es kommt immer alles auf einmal! Das scheint eine Art ungeschriebenes Gesetz zu sein!
Ebenso aufgebracht wie verunsichert starrte Nora den Krankenhausflur entlang, dessen eigenwilliger Geruch mittlerweile bis in ihre Innereien vorgedrungen war. Daher kniff sie ihre Augen zusammen und verzog das Gesicht.
Nach kurzer Zeit riss sie sich jedoch zusammen und begab sich zurück zu Timo. Sie schenkte ihm einen Kuss auf die Stirn, streichelte über seine Wange und flüsterte ihm einige Abschiedsworte zu. Anschließend machte sie sich auf den Weg nach unten.
Dabei ließ ihr ein Gedanke partout keine Ruhe mehr: Was ist bloß mit Tommy passiert?
5
Als Nora sich dem grauen Kastengebäude näherte, in dem Tommy seit zwölf Jahren hauste, sah sie bereits von Weitem die Einsatzfahrzeuge ihrer Kollegen vor dem Eingang parken. Die blauen Lichter auf den Wagendächern durchschnitten die Dunkelheit wie Schwerter und kündigten unmissverständlich an, dass sich etwas Dramatisches ereignet hatte. In einem Radius von fünfzehn Metern war der Eingangsbereich des Wohnhauses bereits mit Absperrband gesichert worden. Vier Beamte sicherten dieses Gebiet mit höchster Aufmerksamkeit. Sie ließen die Schaulustigen, die sich trotz der Kälte um das Absperrband drängten, keine Sekunde lang aus ihren Augen.
Nora stellte ihren Ford in einer freien Parkbucht ab. Dann lief sie so rasch sie konnte auf die Menge zu, wobei sie neben den Zivilsten auch einige Journalisten entdeckte. Diese hatten sich vor die übrigen Schaulustigen
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