'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Unverschämtheit!
„Wirklich schockiert war der Professor nicht“, zog Nora als Fazit, als sie mit Tommy über den Flur zur Treppe zurückging.
„Im ersten Moment schien er ehrlich bestürzt zu sein. Aber bereits kurz darauf bekam ich auch den Eindruck, dass er nicht sehr betroffen war. Ähnlich wie diese Corinna Seibert scheint der Mord ihn nicht ernsthaft zu interessieren.“
„Das stimmt. Beide haben die Ermordung ohne ein Wimpernzucken hingenommen. Unter Umständen sind sie in ihrer Welt der Wissenschaft so gefangen, dass ihnen die Grausamkeit der weltlichen Realität gar nicht mehr zu Herzen geht.“
„Die Akademiker sind ein Volk für sich“, wusste Thomas. „Aber so kaltherzig und unbeteiligt hätte ich selbst die Professoren nicht eingeschätzt.“
Als sie die Treppe erreichten, fragte Nora: „Denkst du, dass dieser Müller etwas mit der Ermordung zu tun hat?“
„Er hat zwar kein Alibi, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er der Typ für einen Mord ist. Und ich kann schon gar nicht glauben, dass er einen Mord im Bibliothekskeller begehen würde. Immerhin wird er wissen, dass der Bereich dort unten videoüberwacht wird. Und laut Auskunft von Bernhard Zanker muss der Täter auf jeden Fall auf den Überwachungsbändern zu sehen sein. Das hätte Müller bestimmt bedacht.“
„Das ist wahr. Aber sollte er entgegen unserer Erwartungen doch auf den Videobändern zu sehen sein, dann sitzt er ganz schön tief im Mist.“
„Stimmt, warten wir also die Auswertungen der Bänder ab. Jetzt sollten wir aber zunächst einmal Franziskas Eltern über die Ermordung in Kenntnis setzen.“ Tommy biss sich auf die Unterlippe. „Gott, ich hasse diesen Teil unseres Jobs. Daran werde ich mich nie gewöhnen können. Niemals.“
6
Mein erstes Kunstwerk ist vollbracht. Es hat alles perfekt funktioniert. Die Bullen werden mir schon bald auf den Leim gehen, weil meine falschen Fährten perfekt ausgestreut sind. Zwar heißt es immer, dass es den ‚perfekten Mord’ nicht geben würde, doch ich habe soeben das Gegenteil bewiesen.
Ein echter Künstler ruht sich allerdings nicht auf seinen Lorbeeren aus. Vielmehr setzt er alles daran, ein neues Werk zu erschaffen, das noch besser ist als das vorherige. Und ich werde in den nächsten Tagen ganze fünf Kunstwerke vollbringen. Damit steige ich in den Olymp der außergewöhnlichen Kriminellen auf. Die Tatsache, dass meine einzelnen Kunstwerke zusammenhängen und somit ein Ganzes ergeben, ist der endgültige Beweis meiner Genialität. Im Endeffekt ist es nämlich nicht schwer, einen einzelnen Menschen zu ermorden und die Ermittler auf eine falsche Fährte zu locken. Die Königsdisziplin liegt in einer Reihe von Morden. Dabei gilt es viel mehr Details zu bedenken. Und ich habe sie alle bedacht. Denn ich bin etwas Besonderes.
Manchmal denke ich, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der in der Lage ist, etwas wirklich Großes zu erschaffen. Einige Menschen sind der Meinung, dass die Erfindung des Rades eine großartige Sache war. Andere sind davon überzeugt, dass die Mondlandung einen phänomenalen Moment darstellt. Was würden diese ahnungslosen, jämmerlichen Geschöpfe dann erst von meiner Mordserie sagen, wenn sie von dem Plan hinter den einzelnen Taten erführen? Sie würden die Serie als das spektakulärste und raffinierteste Ereignis der Menschheitsgeschichte bezeichnen!
Daher ist es eine Schande, dass mein Plan niemals an die Öffentlichkeit gelangen darf. Vielleicht sollte ich ihn auf einen Zettel schreiben und dafür sorgen, dass dieser nach meinem Tod gefunden wird. Schließlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass viele große Künstler erst posthum zu angemessenen Ehren gelangen.
Aber mit diesem Problem sollte ich mich erst später beschäftigen. Jetzt gilt es, den zweiten Mord zu begehen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!
Obwohl das bei mir eigentlich Hand in Hand geht ...
7
Von ihrer Zentrale erfuhren Nora und Thomas, dass Franziska Zuckers Eltern ebenfalls in Göttingen wohnten. Ihr Haus befand sich in der Oberstraße im Stadtteil Herberhausen . Dieser lag im Osten der Stadt und war mit fünfzehn Quadratkilometern der größte Stadtteil Göttingens.
Soeben stiegen die Kommissare aus Noras Ford, schritten dann auf die Haustür zu und klingelten an. Nach kurzer Zeit öffnete ihnen eine kleine Frau mit brünetten Haaren. Sie wog mindestens neunzig Kilo und hatte überaus dicke Oberarme.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?!“,
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