'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
können. Dann hätten wir die Fahndung nach dem 20-Jährigen irgendwann aufgegeben und der Fall wäre zu den Akten gelegt worden. Der Mörder hätte den Studenten problemlos als Sündenbock benutzen können. Warum hat er das nicht getan? Das will mir nicht in den Kopf.“
„ Weil die Menschen unbedingt erfahren sollen, dass er es war. Er allein will den ‚Ruhm’ für seine Taten einheimsen“, seufzte Nora. „Zumindest in dieser Hinsicht scheint Viktor Wolf recht zu haben. Denn e ine bessere Erklärung fällt mir für diese merkwürdige Vorgehensweise beim besten Willen nicht ein.“
Aus heiterem Himmel wurde die Bürotür aufgestoßen und Rafael Contento rauschte in den Raum. „Ich komme gerade von dieser Prostituierten Nicole, mit der Franz Bartel am Sonntagabend zusammen gewesen sein will.“
„Und was konntest du von ihr erfahren?“
„Sie hat bestätigt, dass sie mit Franz den Sonntagabend in einer Holzhütte im Göttinger Wald verbracht hat, ohne dass er sie zwischendurch verlassen hätte. Auch am Donnerstag und Montag zuvor hätten sie dort zusammen ihren Spaß gehabt. Aber was ist die Aussage einer Prostituierten wirklich wert? Franz könnte sie bezahlt haben, damit sie uns versichert, er sei die ganze Zeit über bei ihr gewesen.“
Tommy merkte an: „Dennoch glaube ich nicht an seine Schuld. Ein Vater würde niemals seine eigene Tochter entführen oder entführen lassen. Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Ich glaube sehr wohl“, begann Nora überzeugt, „dass Franz irgendwie in diese Sache verwickelt ist. Ich habe nämlich das dumpfe Gefühl, dass wir irgendetwas bei ihm übersehen haben.“ Sie hob verzweifelt die Achseln.
„Die entscheidende Frage ist nur, was?“
49
Julia trat bis an den Treppenrand vor. Mit weichen Knien und pochendem Schädel spähte sie hinab. Unter ihr erstreckte sich das Treppenhaus bis ins unterste Stockwerk. Doch sie konnte niemanden sehen.
Wie in Zeitlupe trat sie wieder zurück und wartete. Fast zwei Minuten verharrte sie still auf der Stelle. Zwei Minuten, in denen absolut nichts geschah.
Schließlich kontrollierte sie ihren Rückraum ein weiteres Mal. Als sie sich sicher war, dass ihr Entführer sie nicht plötzlich von hinten überraschen würde, wagte sie es, die Treppe wieder zu betreten. Mit jedem Schritt beugte sie sich etwas weiter nach vorne und suchte das jeweils tiefere Stockwerk mit ihren Blicken ab. Doch der Mörder schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Immer weiter! Gleich ist es geschafft!
Julias Herz schlug auf Hochtouren. Ihr Puls lag weit über dem Normalmaß. Zu allem Überfluss knurrte ihr Magen wie verrückt. Eigentlich hatte sie ihre letzten Kraftreserven schon vor langer Zeit aufgebraucht, aber in dieser Extremsituation wuchs sie mit jeder neuen Minute weiter über sich hinaus. Viel weiter, als sie es sich selbst jemals zugetraut hätte. Mit dem Ziel der Freiheit vor Augen, schlich sie unerbittlich voran und ignorierte ihre zunehmenden Kopfschmerzen.
Die nächste Treppe war passiert. Jetzt trennte sie bloß noch eine Etage vom erlösenden Ausgang.
Und dann nichts wie weg von hier!
Starker Wind pfiff plötzlich durch das Gebäude und sauste um alle Ecken. Jedoch knallte weder eine Tür noch ein Fenster. Bei dieser Erkenntnis kam Julia die Idee, dass dieses Gebäude auf dem Industriegelände im Nordwesten der Stadt stehen könnte. Über dieses hatte sie neulich zufällig etwas im Göttinger Wochenblatt gelesen. Während sie die Stufen weiter hinabstieg und dabei auf jedes noch so kleine Geräusch achtete, versuchte sie verzweifelt, sich an den Artikel zu erinnern. Es musste Ende letzter Woche gewesen sein, als sie vor lauter Langeweile die Zeitung durchgeblättert hatte. Dabei hatte sie gelesen, dass mehrere Gebäude auf dem Industriegelände zum baldigen Abriss bereit waren.
Während sie diese Information unterbewusst verarbeitete, erreichte sie die letzte Treppe. Sie stellte ihre Beine auf den entscheidenden Sprint ein und schrie sich innerlich an: Lauf so schnell du kannst! Das ist die Chan…! Plötzlich schien die Treppe zu zerbersten. Über ihr stürzte ein Brett herab, vor ihr schmetterte ein Span der Holzstufe ab. Ehe Julia überhaupt realisierte, was soeben geschah, sah sie eine Gestalt auf sich zuhechten. Ein schwarzgekleideter Mann war um eine Ecke hinter ihr hervorgesprungen und hatte einen Balken nach ihr geworfen. Der Holzklotz hatte sie jedoch verfehlt, war neben ihr gegen die Wand geprallt und
Weitere Kostenlose Bücher