'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
anschließend auf der Treppe gelandet.
Julia erschrak. Zwei Hände schossen auf sie zu. Es musste ihr Entführer sein, der nunmehr keine drei Meter von ihr entfernt war. Sie wollte seinem Angriff ausweichen, verlor bei diesem Unterfangen aber das Gleichgewicht. Schon spürte sie die behandschuhten Finger des Mannes an ihrem linken Ohr. Dann an ihren Haaren. Zu ihrer Überraschung bekam er sie allerdings nicht zu fassen. Daher taumelte sie verwirrt nach rechts und fiel kurz darauf die Treppe hinunter. Vergeblich versuchte sie sich an der spiegelglatten Wand festzukrallen. Nichts konnte ihren Sturz mehr abfangen. Der Länge nach krachte sie auf die Stufen, die spürbar nachgaben und bedrohlich zu knirschen begannen. Sie knallte mit der Schulter auf und rollte zwei, drei Meter hinab. Während sie die Kontrolle über sich selbst verlor, hörte sie ihren Entführer rasend vor Wut fluchen. Er war frontal gegen die Wand geprallt, als er sich auf sie gestürzt hatte. Benommen schüttelte er nun seinen Kopf. Anschließend glotzte er durch seine Skimaske auf seineGeisel herab, die zeitgleich auf dem Treppenabsatz landete. Das Holz hatte dem Druck ihres Körpergewichts standgehalten, doch ihre Haut war an den Armen und Beinen heftig abgeschürft worden. Über ihrer linken Augenbraue klaffte zudem eine offene Wunde. Während Julia vor Schmerz aufschrie, hastete der Mörder bedrohlich fauchend die Treppe hinunter.
Die Schülerin rappelte sich auf. Sie ignorierte ihre Qual und sprintete auf den Ausgang zu, der fünf Meter zu ihrer Rechten lag. Sie spurtete auf einen großen, leeren Platz hinaus. Im Hintergrund ragten einige Bäume in die Höhe. Die gleißende Sonne brannte binnen weniger Augenblicke wie Feuer auf Julias abgeschürfter Haut. Direkt vor ihren Füßen wucherte Unkraut in den Rissen des Asphalts.
Keine Zeit für Details! , schrie sie sich an und rannte wieder los. Unermüdlich jagte sie an der Hauswand entlang. Verfolgte der Mann sie noch? Sie warf ihren Kopf zurück. Zunächst war ihr Entführer nicht zu sehen. Doch gerade als sie wieder nach vorne schauen wollte, stürmte er wie ein Berserker durch den Ausgang. Kaum entdeckte er die Jugendliche, da nahm er auch schon wieder gnadenlos die Verfolgung auf.
Julias Vorsprung betrug knapp zehn Meter. So geschwächt wie sie war, würde er sie in weniger als zehn Sekunden eingeholt haben. Mit jedem Schritt wehrten sich ihre Beine stärker gegen den anhaltenden Druck. Ihre Lungen drohten jeden Moment zu platzen. Sie war zweifelsohne am Ende ihrer Kräfte. Zunehmend verlangsamten sich ihre Schritte.
Nein! Nicht doch! Renn weiter!
Ihr Körper gehorchte nicht mehr. Alles in ihrem Kopf drehte sich. Sie musste sich geschlagen geben. Sie gab auf. Sie stand. Erledigt. Geschafft.
Die Hände auf die Knie gestemmt, rang sie nach erlösender Luft. Zwei Sekunden, drei Sekunden, vier Sekunden vergingen. Jetzt würde er sie haben. Er würde sie packen, skrupellos auf sie einschlagen und sie zurück in diesen trostlosen Raum schleifen. Sie wusste es. Und sie akzeptierte es. Es schien ihr Schicksal zu sein.
Na los, ich will es hinter mich bringen, du Schwein! Komm schon! Wie lange dauert das denn noch?
Fünf Sekunden, vier Sekunden … Julia brach in sich zusammen … drei Sekunden, zwei Sekunden, eine Sekunde …
Doch es passierte nichts. Gar nichts.
Verwirrt schlug Julia ihre Augen auf. Warum ergriff der Mörder sie nicht? Wo blieb er? Worauf wartete er? Wie erstarrt blickte die Schülerin zurück. Es war niemand zu sehen. Keine Menschenseele. Konnte das wahr sein? Wo war der Kerl hin?
Obwohl Julia nicht die geringste Ahnung hatte, welche perfide Scharade der Typ mit ihr spielte, fasste sie kurzerhand neuen Mut. Sie rappelte sich auf und lief wieder los. Von der neu aufkeimenden Hoffnung auf Freiheit getrieben, ließ sie die Hauswand hinter sich und peilte eine Reihe großer Laubbäume an, die zwanzig Meter neben dem Gebäude auf einem Grünstreifen standen und ausreichenden Sichtschutz für sie boten.
Du hast es gleich geschafft! Gib nicht auf!
Als sie die Bäume erreichte, sackte Julia abermals in sich zusammen. Wenngleich der Kampf um das nackte Überleben ungeahnte Kräfte in ihr freigesetzt hatte, war sie nun endgültig am Ende. Sie konnte keinen Meter weiterrennen. Unmöglich.
Nach einer längeren Verschnaufpause hob sie den Kopf und äugte zurück zum Gebäude. Ihr Entführer war weit und breit nicht zu sehen. Dieses unbeschreibliche Glücksgefühl ließ sie in
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