'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Tränen ausbrechen. Sie hatte die Hölle auf Erden überlebt. Sie war ihrem Peiniger entkommen. Wie auch immer sie das geschafft hatte.
Dennoch traute sie der trügerischen Ruhe noch nicht über den Weg. Wieso war der Mann auf einmal verschwunden? Und wohin? Wo war er jetzt? Julia hievte sich wieder auf die Beine und trat mit Bedacht auf die freie Ebene hinaus. Ein letzter Blick zum Gebäude schenkte ihr die Gewissheit, dass der Mörder tatsächlich nicht mehr hinter ihr her war. Er war definitiv verschwunden.
Daher schleppte sich die 16-Jährige zu einer kleinen Nebenstraße, die fünfzig Meter weiter nördlich lag. Diese keuchte sie entlang, bis sie nach weiteren zweihundert Metern ein erstes Wohnhaus erspähte. Nachdem sie Sturm geklingelt hatte, ließ eine ältere Dame mit schneeweißem Haar sie eintreten und sich von ihr eine Kurzfassung ihrer Entführung erzählen. Gleich darauf alarmierte die Dame die Polizei und versorgte Julia mit Wasser und vitaminreicher Nahrung.
Keine Viertelstunde später erschienen Nora und Tommy sowie Julias Eltern vor Ort. Während Corinna ihre Tochter überglücklich umschlang, hielt Franz seine Gefühle im Zaum. Wie schon am Abend der Entführung schien ihm sehr viel daran zu liegen, unter keinen Umständen ‚schwach’ zu wirken, indem er seinen Emotionen freien Lauf gelassen hätte. Daher nahm er Julia nur kurz in die Arme, tätschelte ihre Schulter und sagte: „Schön, dass du wieder da bist. Das war bestimmt eine schwere Zeit für dich. Aber jetzt ist es ja vorbei.“
Da Julia aus verständlichen Gründen ebenfalls nicht viel Wert darauf legte, mit ihrem Vater zu reden, begab sie sich rasch zu den Ermittlern, um auch ihnen den Ablauf ihrer Entführung zu schildern. Im Anschluss daran riefen Nora und Tommy das Team der SpuSi auf den Plan. Gemeinsam fuhren sie den Weg entlang, den Julia ihnen vor wenigen Minuten beschrieben hatte. Sie befanden sich im nördlichen Industriegebiet, wo drei mehrstöckige Gebäude auf ihren baldigen Abriss warteten.
Nach einer ausgiebigen Suche fand das Ermittlerteam das Zimmer, in dem Julia gefangen gehalten worden war. Sie entdeckten das Bettgestell mit der Matratze sowie die Leuchtröhre an der Wand – genau wie Julia es ihnen beschrieben hatte. Gewissenhaft stellten die Kriminaltechniker den Raum auf den Kopf. Dabei fanden sie ein blondes Kopfhaar, das am rechten Hinterbein des Bettes hing. Und dieses Haar stammte definitiv nicht von Julia.
Aber es passte vermutlich sehr gut zu Albert Weller.
Aus diesem Grund machten Nora und Tommy sich sofort auf den Weg zum Lehrer. Doch wie sie sich schon gedacht hatten, trafen sie ihn in seiner Wohnung nicht an. Möglicherweise ahnte er, dass Julia den Ermittlern nach ihrer Flucht wertvolle Hinweise auf seine Identität bieten konnte und würde daher erst gar nicht mehr heimkommen.
Die Ermittler wussten aber genau, dass ihr Verdacht gegen Weller nicht ausreichte, um einen Durchsuchungsbeschluss für seine Wohnung zu erhalten. Vielmehr brauchten sie eine Probe seiner DNA, um diese mit dem sichergestellten Haar vergleichen zu können. Da ihnen eine derartige Probe nicht vorlag, hielt Tommy es für ratsam, mit Dorm ab sofort Wellers Wohnung zu observieren, während Nora mit Contento bei Jasmin Wache hielt.
An einem der beiden Orte wird Weller früher oder später auftauchen , dachte Tommy überzeugt. Und dann können wir diesen beschissenen Fall endlich zu den Akten legen.
50
Am Abend schloss Nora gegen 18 Uhr ihre Haustür auf und schlenderte direkt ins Wohnzimmer, um sich dort auf die Couch zu setzen und für einige Minuten zu entspannen. Da sich ihre Gedanken bereits um die vor ihr liegende Bewachung drehten, benötigte sie momentan dringend einige Augenblicke der Ruhe. Sie musste Kraft tanken, um später am Abend topfit zu sein und Weller im Fall der Fälle endlich schnappen zu können.
Doch kaum hatte sie sich auf der Couch zurückgelehnt, da stapfte Timo in den Raum. In der rechten Hand hielt er ein Bier, in der linken die Fernsehzeitung.
„Hey, wie geht’s?“, fragte er sie.
Weil Nora nicht wusste, wie er derzeit auf sie zu sprechen war, antwortete sie zurückhaltend:
„Ich bin ganz schön geschafft. Es war ein anstrengender Tag.“
„Ach, ja?“
„Ja, und in einer knappen Stunde muss ich leider schon wieder los. Es kann durchaus sein, dass ich erst morgen früh wiederkomme, weil ich mit Rafael Contento und zwei weiteren Kollegen eine Bewachung durchführe. Aber ich hoffe wirklich,
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