Rache: Die Eingeschworenen 4
der erhöhten Plattform, die das Dorfzentrum darstellte– Niedzie hatte Finn es genannt, aber Schwarzauge hatte die Sache schnell richtiggestellt. Der Unglückliche, dessen Kopf Finn gegen den Holzsteg geschlagen hatte, hatte » nigdzie« gestöhnt, als Finn ihn fragte, wie dieser Ort heiße. Dieser Ort, an dem der rote Njal seiner Großmutter gefolgt war.
» Nirgendwo«, hatte der Mann in seiner Sprache gesagt, und Finn hatte den Kopf zurückgeworfen und laut gelacht, als Schwarzauge ihm das erklärt hatte.
Jetzt zündete sie Fackeln an und kniete auf der Plattform, wo sie zu ihrem Gott mit den vier Gesichtern betete, während die Schatten tanzten und die Eingeschworenen, zu müde, um zu essen oder zu reden, wie benommen beieinandersaßen, die Köpfe gebeugt, und in den Rauch starrten. Ein dampfender Suppenkessel hing an einem Dreibein, die Männer saßen in einem Gewirr von Waffen und Kettenhemden, die wie abgeworfene Schlangenhäute herumlagen, und benutzten ihre Schilde als Rückenstützen.
Als Schwarzauge zum Feuer zurückkehrte, hoben einige den Kopf und sahen sie mit müden Augen an. Styrbjörn, dessen Mundwerk anscheinend nie müde wurde, zog ein spöttisches Gesicht.
» Na, hast du um Rettung gebetet?«
» Nur die Ängstlichen beten um Rettung«, erwiderte sie und hockte sich hin. Styrbjörn sah sich verlegen um. Es war jedem der Anwesenden klar, dass die Aussicht, gepfählt zu werden, alle seine Gedanken beherrschte.
» Wenn einer jetzt immer noch behauptet, keine Angst zu haben, dann lügt er«, gab er zurück.
» Sag das mal Finn«, lachte Uddolf. » Der ist schließlich bekannt dafür, dass er sich vor nichts fürchtet.«
» Vielleicht kann er dir ja sein Geheimnis verraten, Styrbjörn«, sagte Onund mit seiner brummigen Bärenstimme. » Dann hörst du hoffentlich endlich auf zu winseln.«
» Was das anbelangt«, sagte Finn leise, » da wir vermutlich alle in Kürze unseren Göttern ins Angesicht sehen werden, kann ich mir in der Tat gut vorstellen, dass ihr das Geheimnis meiner Furchtlosigkeit erfahren wollt.«
Jetzt hoben einige interessiert den Kopf, darunter auch ich.
» Als ich jung war«, fing er an zu erzählen, » tat ich verschiedene Dinge, mit denen gewisse Leute in Skani nicht ganz einverstanden waren, und als sie mich geschnappt hatten, gab es weder ein Thing, noch wurde man einfach geächtet. Nein, die Rechtsprechung war damals etwas rauer, und niemand war rauer als Halfidi. Der hatte schneeweiße Haare und sah aus wie ein freundlicher Onkel, aber innerlich war er so schwarz wie ein Draug. Deshalb nannten die Leute ihn auch Slátur.«
Alles kicherte über diesen passenden Namen– slátu r war ein Gericht, für das man eine scharfe schwarze Blutwurst in einen zarten, weißen Lämmermagen einnähte.
» Ich wurde getreten und geschlagen«, fuhr er fort, » und bekam eine Woche lang nichts zu essen, was ich auch nicht anders erwartet hatte. Jeden Tag kam Halfidi oder einer seiner Söhne und verprügelte mich. Danach belustigte es sie, mir immer wieder zu erzählen, wann ich hängen würde. Am Ende der Woche brachten sie mich auf die Klippe, wo sich der Richtplatz befand und wo an einem Eisenring ein Strick befestigt war. Das andere Ende legten sie mir um den Hals, dann banden sie mir ein Tuch um die Augen. Sie drehten mich ein paarmal und gaben mir einen Stoß, ich sollte loslaufen, ohne zu wissen, wo der Abgrund war.«
Die Männer knurrten ungläubig, als sie sich diese Situation vorstellten.
» Das machten sie drei Tage lang«, sagte Finn leise, als sei die Erinnerung nur ein böser Traum. » Mir lief vor Angst die Scheiße an den Beinen runter, und ich machte Versprechungen, die nicht einmal ein Gott hätte halten können, wenn sie mich nur freiließen. Aber sie kannten keine Gnade.«
Er schwieg. Die Männer warteten, das Feuer flackerte im Nachtwind, und ein Funkenschwarm stob auf.
» Am vierten Tag banden sie die Augenbinde etwas nachlässig, und ich konnte auch eine Hand freibekommen, sodass ich mir, als sie mich zum Laufen anstießen, das Tuch von den Augen reißen konnte. Es waren acht Mann, und als sie sahen, dass ich eine Hand frei hatte, kamen sie mit Speeren auf mich zu.«
Er machte eine längere Pause, bis Styrbjörn– dieser Junge, der nie lernen würde, wann es besser war, den Mund zu halten– wissen wollte, wie es weiterging.
» Ich ging über die Klippe«, sagte Finn. Allein bei der Vorstellung stockte allen der Atem.
» Und natürlich starbst du«,
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