Rache: Die Eingeschworenen 4
Tür entfernt, sodass er nicht entwischen konnte.
Ein Skalde hatte hier überwintert, ein Mann mit schmalem Gesicht und mager wie ein Gerippe. Er hieß Helgi und behauptete, sein Beiname sei Mannvitsbrekka– Weisheitshang–, aber bald war mir klar, dass seine Weisheit schon vor langer Zeit an diesem Hang abgerutscht sein musste, denn er brachte nur wieder das ganze alte Zeug, das sie wahrscheinlich schon monatelang von ihm gehört hatten. Selbst Palligs wütender Protest konnte seine betrunkenen Männer nicht davon abhalten, den armen Kerl mit Brotkrusten und Knochen zu bewerfen.
Krähenbein sah mich mit seinen merkwürdigen Augen an und grinste sein Mäusegrinsen. Dann stand er auf.
» Ich kenne da eine Geschichte«, sagte er.
Sofort wurde es still, denn die wunderbaren Märchen dieses jungen Mannes waren noch berühmter als meine angeblichen Heldentaten. Pallig winkte gnädig, er solle fortfahren.
Krähenbein erzählte Geschichten von Tyll Ulenspegel, was für diese Zuhörer genau richtig war. Es waren alte Geschichten, die noch heute erzählt werden, weil man darüber lachen kann. Tyll Ulenspegel ist manchmal jung, manchmal ein alter Mann, und schon sein Name ist so geheimnisvoll wie alte Runen. Unter den Zuhörern gab es einige– das merkte ich genau–, die Krähenbein selbst für diesen Tyll Ulenspegel hielten, und wenn man mich gefragt hätte, ich hätte es auch nicht gewusst, denn seine Geschichten verzauberten uns alle.
» Es war einmal ein Mann«, fing Krähenbein an, » der sehr arm war– nennen wir ihn Ljot– und dem jemand ein Stück Brot schenkte. Er hoffte, es sei ein Zeichen der Götter und ging damit auf den Markt, um an den Ständen der Händler zu betteln, denn er dachte, etwas Fleisch oder ein wenig Fisch würde zu seinem Brot gut schmecken. Alle schickten ihn leer weg, aber Ljot sah einen Kessel mit Suppe über einem Feuer dampfen. In der Hoffnung, ein wenig von diesem köstlichen Aroma einzufangen, hielt er sein Stück Brot über den Topf.«
Alles lachte, vermutlich diejenigen, die wussten, wie Hunger sich anfühlt. Pallig funkelte sie böse an, und sie verstummten.
» Plötzlich kam der Eigentümer der Suppe an– nennen wir ihn Brand–, ergriff den unglücklichen Ljot und beschuldigte ihn, er habe seine Suppe gestohlen«, fuhr Krähenbein fort. » Der arme Ljot fürchtete sich sehr. ›Ich habe keine Suppe genommen‹, sagte er. ›Ich wollte sie nur riechen.‹– ›Dann musst du für den Duft bezahlen‹, antwortete Brand. Der arme Ljot hatte aber kein Geld, also zerrte Brand ihn vor seinen Jarl.«
» Dahin also ist Ljot gegangen?«, rief jemand, und ich wusste, es war Finn. Pallig lächelte böse, weil wieder gelacht wurde, aber Krähenbein fuhr mit der Geschichte fort.
» Nun«, sagte er, » wie es der Zufall wollte, war Tyll Ulenspegel gerade bei diesem Jarl zu Besuch, und er hörte Brands Anklage und Ljots Verteidigung. ›Also verlangst du Bezahlung für den Geruch deiner Suppe?‹, fragte er, als der Jarl noch darüber nachdachte, wie er den Fall entscheiden sollte. ›Das tue ich‹, erwiderte Brand. ›Dann will ich dich selbst bezahlen‹, sagte Tyll. Er zog zwei Silberreifen vom Arm und ließ sie aneinanderklimpern, dann schob er sie wieder auf seinen Arm, zu Brands großer Enttäuschung. ›Da hast du deine Bezahlung‹, sagte Tyll zu dem Mann. ›Der Klang von Silber für den Geruch der Suppe.‹«
Alle lachten und trommelten auf die Tische, und unbemerkt in diesem Lärm und Aufruhr kam Finn an meine Seite, nickte kurz und rollte die Schultern.
» Sie werden den Bärentöter namens Stammkel wählen, der den Beinamen Hilditonn hat– Kriegszahn«, sagte er leise zu mir. Ich fragte ihn nicht, ob er damit ein Problem hätte.
» Eines Tages«, fing Krähenbein die nächste Geschichte an, » lag Tyll Ulenspegel unter einer alten Eiche und, wie er es so oft tat, dachte über die Größe der Götter und Odins Macht nach.«
Vom unteren Ende des Tisches, wo der Christenpriester saß, ertönte ein lautes Räuspern. Alles sah ihn an, und er wurde rot.
» Gott lässt seiner nicht spotten«, sagte er, und Krähenbein zuckte die Schultern.
» Dann soll er sich woanders hinsetzen«, erwiderte er, was verhaltenes Gelächter auslöste, denn schließlich waren eine ganze Anzahl von Christus-Anhängern unter den Anwesenden. Pallig reckte den Hals, um den Priester sehen zu können, der aber seinerseits jetzt den Kopf eingezogen hatte. Es dauerte auch nicht lange, da wandte
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