Rache: Die Eingeschworenen 4
sich der Jarl wieder Krähenbein zu und lachte.
» Erzähl weiter, junger Mann«, sagte er leutselig, » deine Geschichten sind besser als alles, was wir in letzter Zeit gehört haben.«
Jetzt machte der Skalde ein wütendes Gesicht.
» Tyll«, fing Krähenbein an, » dachte an Odins Weisheit. Aber dann fragte er sich, ob es tatsächlich so weise sei, einen so großen Baum wie diese Eiche zu schaffen, wenn sie schließlich nur so kleine Eicheln hervorbrachte. Sieh dir diesen dicken Stamm an, dachte er, und diese starken Äste, die leicht etwas viel Schwereres tragen könnten, zum Beispiel Kürbisse, die doch so schmächtige Ranken haben und auf dem Boden wachsen. Sollte diese mächtige Eiche nicht eher Kürbisse tragen und die Eicheln dafür im Dreck kriechen?«
» Das habe ich mich auch oft gefragt«, unterbrach ihn der Skalde, der ebenfalls zu Wort kommen wollte, aber die Leute riefen, er solle den Mund halten.
» Mit diesen Gedanken«, fuhr Krähenbein fort, » schlief Tyll ein – wurde aber bald wieder geweckt, als ihm eine Eichel auf die Stirn fiel. ›Aha‹, rief er. ›Jetzt erkenne ich die Weisheit des Einäugigen – wenn die Welt nach Tyll Ulenspegel erschaffen wäre, hätte mich jetzt ein Kürbis erschlagen.‹«
Krähenbein schwieg und sah den Priester an.
» Und Tyll Ulenspegel hat nie wieder die Weisheit Odins infrage gezogen«, schloss er, und in der Halle wurde auf die Tische geschlagen und gejohlt, und der Priester wurde gutmütig mit ein paar Knochen beworfen. Pallig stand auf und hob die Hände, um Ruhe zu schaffen, vermutlich wollte er die Leute zurechtweisen, weil sie den Priester so respektlos behandelten. Doch gerade in dem Moment, als dieser schwabbelbäuchige Jarl den Mund aufmachen wollte, entfuhr ihm ein gewaltiger Furz.
Alles lachte, und Pallig wurde erst blass, dann rot. Krähenbein räusperte sich und nutzte den peinlichen Moment für eine neue Geschichte.
» Es war einmal ein Jarl, der hatte mit seinem Furzen große Schande über sich gebracht«, fing er an. Palligs Gesicht verhieß nichts Gutes, aber die Leute waren jetzt so betrunken, dass sie auch diese neue Geschichte bejubelten, also setzte er sich wortlos und mit finsterer Miene wieder hin.
» Es war an seinem eigenen Hochzeitstag«, fuhr Krähenbein fort. » Die Braut wurde in all ihrer Pracht den anderen Frauen vorgestellt, die vor Neid ihre Augen nicht von ihr abwenden konnten. Schließlich wurde der Bräutigam gerufen, damit er sich neben sie stelle, während der Godi schon mit dem Segenshammer bereitstand.«
An dieser Stelle stand der Priester auf und bekreuzigte sich, und viele taten es ihm nach, aber fast ebenso viele johlten. Man kann über Christenpriester sagen, was man will; sie können lästig sein wie eine Pferdebremse im Sommer; man kann auch sagen, sie seien so engstirnig, dass es ein Wunder ist, dass überhaupt ein Gedanke in ihren Kopf passt– aber man kann ihnen nicht nachsagen, dass sie keinen Mut hätten. Ich bin nur ganz selten einem begegnet, der ein Feigling war.
Krähenbein wartete, bis der Priester fertig war und sich wieder hingesetzt hatte. Dann fuhr er mit seiner Geschichte fort.
» Langsam und würdevoll stand der Jarl von seiner Bank auf«, sagte er und machte eine Pause, wobei er in die atemlose Runde schaute.
» Und dabei«, fuhr er bedeutungsvoll fort, » entschlüpfte ihm ein gewaltiger und schrecklicher Furz, denn er hatte viel zu viel gegessen und getrunken. Es war wie ein Wind von Thor, ein mächtiger Donner.«
» Ich glaube, ich kenne diesen Jarl«, kam eine Stimme aus der Dunkelheit, und Pallig rutschte auf seinem Hochsitz hin und her, doch dann zwang er sich zu einem Lächeln. Krähenbein wartete einen Moment, dann fuhr er fort.
» Natürlich war es eine große Beleidigung für die Braut und ihre Verwandten, und weil es zu einer Blutfehde, dem Verlust der Mitgift und einem verdorbenen Tag geführt hätte, wandten sich alle Gäste sofort ihren Nachbarn zu und fingen laute Gespräche an und taten so, als hätten sie nichts gehört. Dem beschämten Jarl war es so peinlich, dass er das Brautgemach verließ, als müsse er einem Ruf der Natur folgen. Er ging hinunter in den Hof, sattelte sein Pferd und ritt durch die Nacht davon, wobei er bitterlich weinte. Schließlich kam er zum Dovrefjell, das er überquerte, bis er in die Schneeregion kam, dort opferte er sein Pferd und blieb jahrelang bei den Samen.«
» Dort war er auch sicher«, bemerkte jemand verdrießlich, » denn die
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