Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
dann die Speisekarte auf den Tisch geknallt und gesagt, dass er pünktlich um 11.30 seine Mittagsmalzeit einnehmen wolle. So wie der Chef kam, war er wieder verschwunden, mies gelaunt wie immer. Am ersten Tag, also zum Beginn meiner »Feuertaufe«, stand ich in der gähnenden Leere »meiner« Küche, mutterseelenallein auf weiter Flur. Ich war nun mein eigener Chef, ohne jegliche Unterstützung, in einer Filiale der Wackernagel’schen Ausbeutung.
Alles, was aussah wie ein Weißkrautkopf, habe ich in einen Wasserkessel mit kochendem Wasser geschmissen. Inzwischen stöberte ich den Hackepeter auf. Er befand sich knallhart gefroren und ungewürzt im Gefrierschrank. Den Hackepeterbottich nahm ich heraus, hievte ihn auf den Herd und stellte die Kochplatten auf -eins-, um das Auftauen künstlich voranzutreiben. 9.50 Uhr hat dann die Putzfrau ihren Wuschelkopf durch die Küchentür geschoben, um mich darüber zu informieren, dass der Wutscher »abhanden« sei. Ich stellte fest, dass sie darüber sichtlich froh war, denn sie betrat unerlaubt die Küche, pflanzte sich auf einen Stuhl in Nähe des Hinterausganges, legte die Beine übereinander und brannte sich eine Zigarette an. Als ich die Fenster aufriss, drückte sie anstandshalber ihre Zigarette auf einem sauberen Tranchierbrett aus und meinte, dass der Wutscher doof sei. Darüber, dass sie den Wackernagel gemeint hat, war ich froh, denn mir stand der Hintern voller Tränen. Das Weißkraut war kaum weich und der Wutscher wollte seinen Fraß pünktlich um 11.30 Uhr haben. Jetzt wischte sich die Putzfrau die Hände an den Hosennähten ab und sagte mir, dass sie den altmodischen Namen Irma mit sich herumtrüge und mir ein wenig helfen würde. Ich log, indem ich dokumentierte, dass ich den Namen Irma schön fände. Über das Großmaul dieser Person habe ich mich natürlich nicht mokiert, denn Irma war jetzt meine Retterin in der Not. Gemeinsam fabrizierten wir also Kohlrouladen, wie sie in keinem Kochbuch standen. Erst nahm ich das Kraut aus dem Kessel und schnitt die Köpfe mittendurch. Irma trennte die Blätter voneinander, um den Prozess des Abkühlens zu beschleunigen. 10.15 Uhr habe ich das Grundstück nach Kartoffeln abgesucht, nichts gefunden und dann auf eigene Kosten einen 25-kg-Sack aus dem KONSUM geholt. Ich schüttete alle Kartoffeln in den Schälautomaten und wollte ihn anwerfen, nichts er war möglicherweise defekt. Ich habe die Kartoffeln aus dem Automaten wieder herausgeholt und das Schälmesser angesetzt. Irma meinte, dass ich mich beim Schälen dämlich anstellen würde und übernahm diese Arbeit. In der Zwischenzeit setzte ich eine der Kippbratpfannen in Gang und warf fünf Würfel Bratmargarine hinein. Als es anfing zu brutzeln, habe ich die Pfanne wieder abgeschaltet, weil noch keine der Rouladen gewickelt war. Irma meinte außerdem, dass es Quatsch sei, die Kohlrouladen in einer offenen Pfanne zuzubereiten. Ich stellte die Kippbratpfanne ab, versuchte die heiße Margarine in einen großen Tiegel zu löffeln und warf dann einen großen Backofen an. Erst gegen 10.45 Uhr landeten zwei Kilo geschälte Kartoffeln in einem 100-Liter-Kochkessel, aufgefüllt mit ca. 100 Litern eiskalten Wassers. Das Salzquantum kalkulierte ich hypergenau nach der Menge der Kartoffeln und schüttete einen gestrichenen Teelöffel davon in den Kessel. 11.15 Uhr war das Kartoffelwasser lauwarm und 50 Kohlrouladen waren nun in rohem Zustand hergestellt. So ganz nebenbei zeigte mir Irma die Speisekarte mit den restlichen Gerichten, die den Gästen ab 11.30 Uhr, bzw. nach Wunsch, serviert werden sollten. Da stand neben vielen Kleinigkeiten u. a. geschrieben:
-Sauerbraten, Klöße, Rotkohl
-Tafelspitz, Meerrettichsauce
-Schweizer Sahneschnitzel, Mischgemüse
-Schweinenackensteak, Röstkartoffeln
-Rindsroulade, Rotkohl
-Sülze Hausfrauenart, Remoulade
Als Beilagen servieren wir ...
Mit keinem dieser Gerichte hatten wir begonnen. Alles, was in den Tiefkühlschrank gehörte, befand sich noch im tiefsten Winterschlaf. 11.25 Uhr begannen sich im Wasser des Kartoffelkessels kleine Perlen zu bilden. Meine Knie wurden vor Angst weich. Tatsächlich kam der Wutscher mit seinem Audi-Quattro angetrudelt, ging in sein Büro, knallte den Zündschlüssel auf den Tisch und besuchte die Toilette. Irma ging ebenfalls in dieses Büro und schnappte sich den Zündschlüssel. Ich dachte, Irma sei durchgeknallt. Jetzt begriff ich: Sie hatte sich den Zündschlüssel unter den Nagel gerissen, den
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