Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
hatte er sich während eines Telefonates in Rage geredet. Plötzlich begann er zu lächeln. Daraus war zu schlussfolgern, dass Felgentreu jetzt für ein Informationsgespräch programmiert war. Hinsichtlich meiner zur Schau gestellten Extravertiertheit war ich dem Geschäftsführer sympathisch und durfte Platz nehmen. Die Vorzimmerdame bekam grünes Licht zur ,Höflichkeit in Person‘. Sie steppte zur Kaffeemaschine, um diese in Gang zu setzen. Als dies nicht funktionierte, verfiel die Blondine in Hysterie. Laut Anweisung des Firmenchefs wurde nun der Kaffee mit meinem Einverständnis türkisch gebraut. Der Chef fragte mich nach meinem Alter und anschließend nach der Entlohnung, die ich mir in naher Zukunft vorstellte. Also war nichts mit einem vertraglich fixierten Gehalt, denn die nahe Zukunft begann vielleicht am Sankt-Nimmerleins-Tag. Auf beide Fragen antwortete ich so unkonkret, als möglich. Der Firmenchef vermied das Händegeben, vielleicht aus hygienischen Gründen. Darüber war ich verärgert. »Gott sei Dank!«, dachte ich letzten Endes, denn Felgentreu umwickelte seinen rechten Zeigefinger mit seinem Taschentuch, um in der Nase zu bohren. Wir saßen uns gegenüber, voneinander getrennt durch einen schmalen Beistelltisch und sagten nichts. Ich fragte nach den territorialen Bedingungen, die die Firma womöglich im Kontrakt festschrieb. »Wir spinnen unsere Fäden deutschlandweit!«, antwortete Felgentreu. »Also schiebe ich eine ruhige Kugel, weil Sie sagen spinnen!«, entgegnete ich. Bevor Felgentreu zu Wort kam, versuchte ich zu klären, welchen Fahrzeugtyp die Firma für den jeweiligen Außendienstmitarbeiter auserkoren hatte. Felgentreu wollte mit dieser Frage partout nichts anfangen, weil die Bereitstellung eines Firmenwagens in Wirklichkeit nicht zur Debatte stand. Ich bot ihm scheinheilig meinen eigenen PKW an. Felgentreu grinste. Ich schlug sogar vor, mein Gehalt selbstverständlich aus der eigenen Tasche zu berappen, jedenfalls am Anfang meiner Karriere. Mir war klargeworden, dass ich der Firma Felgentreu auf Provisionsbasis zur Verfügung stehen müsste. Dazu brauchte ich allerdings noch etwa 2 bis 3000 DM Startkapital. Felgentreu grinste wieder, nur etwas breiter. Jetzt wollte er mich in diesem nahezu kochenden Blümchenkaffee beinahe ertränken. Die Blondine goss und goss. Dabei kippte sie den Kaffee auf die Tischplatte. Felgentreu knirschte vor Wut mit den Zähnen. Er unternahm den Versuch, mit seinem Stuhl nach hinten rücken, um der Kaffeelawine zu entrinnen. Ich hatte jetzt meine Beine so nach vorn gestellt, dass sie Felgentreu’s Stuhlbeine unbarmherzig umklammerten. Der kochend heiße Kaffee schwappte genau dorthin, wo er landen sollte, nämlich auf Felgentreu’s Hosenstall. Felgentreu jammerte, bis der Kaffee an dieser empfindlichen Stelle erkaltet war – es gab kein Entrinnen! Um sich der Hose zu entledigen, war Felgentreu zu eitel, aber davor, mich über den Tisch zu ziehen, hatte er natürlich keinerlei Scheu. Es gab ein Gezeter ohne Ende. Felgentreu redete von tätlichem Angriff, den ich auf ihn gestartet hätte. Zeugen gab es nicht und wenn?! Die Bürovorsteherin trat sogleich mit einem versifften Abwaschlappen in Aktion, um den Kaffee auf Hose und Tisch breitzuwischen. In der Zwischenzeit entschwand ich klammheimlich aus dem Büro, denn auf Grund meines für kapitalistische Verhältnisse schon zu weit fortgeschrittenen Alters war ich für die Firma Felgentreu allemal entbehrlich.
Lieber einem Ausbeuter auf der Tasche gelegen, als unter der Brücke!
»Greif zu, besser als nichts!«, habe ich mir gesagt, denn mein geplanter Antiquitätenhandel kam vorerst nicht in Gang. Der bayrische Gastronom Wackernagel aus München-Mittersendling führte in Leipzig mindestens fünf Imbissstände und ebenso viele gastronomische Einrichtungen in der Gegend von Plagwitz und Alt-Lindenau. Eine Einrichtung existierte seit Ende 1990 und zwar in der Eisenbahnstraße von Neustadt-Neuschönefeld. Diese Gegend stieg bald zum internationalsten Viertel von Leipzig auf. Dort produzierte man Hausmannskost zu halbwegs günstigen Preisen. Es war, gelinde gesagt, eine Kneipe oder besser gesagt eine Kaschemme. Vielleicht war sie noch das beste Haus von allen sechsen am Platz. Es trug den Namen »Abendfrieden« trotz der nächtlichen Randale, durch die die Polente immer in Bewegung gehalten wurde. Man konnte sich dort morgens um Acht schon einen hinter die Binde gießen. Einesteils war das gut so, da waren die
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