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Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
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nach Braunschweig zu transportieren, der dem Antiquariat, Firma Jasper, angeboten werden sollte. Dazu hatte ich keine Lust, weil der knickrige Jasper nichts zahlte und ich während dieser Aktion womöglich leer ausgehen würde.
    Der Tag war heran. Wenigstens war ich sicher, dass die Schmalztolle Kretzschmar vom Kölner Stadtanzeiger nicht zugegen sein würde. Trotzdem – ich war neugierig auf Anzengruber, die so vielgepriesene Koryphäe aus dem Westen.
    Als ich nachmittags um Drei das Hallenser Büro betrat, war er schon anwesend. Er saß in einem Sessel, die Beine übereinander geschlagen. Er trug auffällig spitze, hellbraune Salatstecher an den Füßen. »Nun ja«, dachte ich, »vielleicht sind solche Schuhe wieder Mode!« Auf seiner Brust baumelte eine getönte Brille, die an albernen Kordeln befestigt war. Ich schätzte Anzengruber auf Ende fünfzig. Ich wollte ihm die Hand geben, er aber überlegte erst, ob er sie nehmen sollte. In der Zwischenzeit hatte ich meine Hand schon wieder zurückgezogen und vergnatzt in der Hosentasche vergraben. Aus diesem Grund nahm Frau Schindler das Zepter in die Hand und schwatzte belangloses Zeug über den Stadtanzeiger. Jetzt hatte Anzengruber seine Beine auf den Boden gestellt, als wollte er aufspringen. Frau Schindler setzte die Kaffeemaschine in Gang. Anzengruber lehnte sich in den Sessel zurück und legte die Beine wieder übereinander. »Hm!«, mehr war dem Herrn aus Köln nicht zu entlocken. »Das ist der Herr Wanzen ... Tschuldigung, Anzengruber! Früher leitete er eine Wiener Poesie-Werkstatt«, informierte mich Frau Schindler, um diesem Herrn zu gefallen. Anzengruber reagierte nicht. Inzwischen war der Kaffee fertig, extra stark, der Kaffeelöffel stand fast darin. »Früher befand sich auf Seite 6 unseres Stadtanzeigers ,Die Kulturecke‘«, fuhr Frau Schindler fort. Anzengruber fragte plötzlich, was er da für eine Kaffeesorte vor sich hätte. Er rührte und rührte in der Tasse und panschte Milch dazu, sodass der Kaffee auf die Untertasse schwappte. Frau Schindler sauste in die Küche, holte eine neue Tasse und servierte den Kaffee neu. Es war eine halbe Stunde vergangen, doch vom Poeten Anzengruber war außer Nasenschniefen nichts zu vernehmen. Dann fuhr Frau Schindler mit ihrer Rede fort. »Also auf Seite 6 des Stadtanzeigers befand sich bisher die ...« Anzengruber brabbelte einfach dazwischen. Er gedachte, der Dichtkunst im Osten auf den Zahn zu fühlen. Dazu würde es eben die ‚Vokabel der Woche’ geben. Daraus müsste dann der Leser ein Gedicht zaubern, falls er sich an den wöchentlichen Preisausschreiben beteiligen wollte. »Vielleicht sagen Sie uns ein Beispiel, Herr Wanzen... Tschuldigung, Anzengruber!« Als sich Frau Schindler das zweite Mal versprach, schaute Anzengruber ganz mürrisch drein. Dann fragte er mich: »Na Herr Drehwolke, was schlagen Sie vor? Nennen Sie doch mal ein gängiges Wort!« »Gockel«, sagte ich und dachte an Anzengruber. »Aber Herr Drehwolke, das ist doch nichts – etwas Schöneres, bitte!«, sagte Frau Schindler, »vielleicht finden Sie ein gängigeres Wort, auf das sich viele andere Begriffe reimen!« »Wanze«, entfuhr es meinen Lippen und dachte wieder an Anzengruber, der wiederum nicht so dämlich war, meine Boshaftigkeit nicht mitzubekommen. Es setzte eine bedrückende Pause ein. »Der Herr Drehwolke meint die Wanzen von Sicherheitsdiensten zum Abhören von ...« Der Giftpilz Anzengruber ließ Frau Schindler wieder nicht ausreden. »Also, das kulturelle Defizit des Ostens ...«, begann er, »merzen Sie mit unserer Hilfe aus ganz klar!«, platzte ich dazwischen. Das hat Anzengruber so gar nicht hören wollen. Auf der Titelseite eines vor uns liegenden, druckfrischen Anzeigers befand sich ein Angebot für private Geldanleger, denen man, ohne mit der Wimper zu zucken, bis 20 % Rendite pro Jahr versprach. Erst wollte ich mich darüber künstlich aufregen, doch dann ging ich in mich und ließ es bleiben. Um den Rahmen der Besprechung nicht total zu sprengen, ließ ich das Wort Löwe fallen. Ganz unten befand sich nämlich die Vignette eines Löwen, unter dessen rechter Tatze eine schmutzige Bratpfanne begraben lag. Der Löwenkopf war nach links gedreht. Dieses Tier flirtete sogar mit einer Antilope. Das Ganze sollte Überlegenheit und Kraft symbolisieren. Eigentlich war es die kitschige Werbung für einen Super-Fettlöser. »Na also!«, sagte Frau Schindler. Ich musste mich nun in einen Nebenraum zurückziehen und

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