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Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
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Prämissen,
    ein andrer Narzissen
    oder pikiert halt nur
    Rüben auf weiter Flur -
    mancher eben
    edle Gewächse im Garten Eden.
    Einer fischt im Trüben, der andre im Rhein,
    einer »steht im Regen«, der Invalid auf einem Bein,
    ein Mensch ist Erfinderprototyp,
    ein andrer dessen Patente Dieb,
    einer trägt des andren Last
    und wandert dafür in den Knast,
    einer überfällt ‘ne Bank mit Donnerschlag,
    ein andrer die Mutter mit Blumen am Muttertag,
    ein Mensch dreht ‘nen Film, ein andrer ein »Ding«,
    einer trägt ‘nen Titel wie mancher ‘nen Ring,
    einer malt Kaffee, ein andrer das Leben –
    so sind die Unterschiede eben!

    Einer führt Regie der andre ‘nen Hund -
    ach, ist das Menschsein bunt!
    ___

    »Wie schön!«, sagte Frau Schindler und lachte, dass ihr Busen wieder hoch und runter hüpfte. »Man könnte doch solche witzigen Texte auf der Kulturseite, also auf Seite zehn unseres Stadtanzeigers platzieren!« Und weil Anzengruber nicht reagierte, geriet sie in Rage: »De Bevölkerung ist doch dor Werbelawine längst üwerdrüssich! Herr Drehwolke, bitte nehmen Sie doch an unserm nächsten Seniorentreff deil. Vielleicht hamm Se bis dahin witzige Dexte parat, die Se uns dann vortrachen – Se bekommen ooch’n Honnerar! Ach so, was sachen Sie’n, Herr Anzengruwer?« Frau Schindler sprach sonst immer ein gepflegtes Deutsch. Sie war sich sicher, dass sie den Wessis in solcherlei Dingen in nichts nachstand. Jetzt ließ sie sich einfach gehen. Anzengruber verstand Bahnhof, denn diese Version der »Kulturseite« ging ihm entschieden gegen den Strich. »Der Leipziger Stadtanzeiger ist nun mal ein Anzeigenblatt. Für solchen Schnick…, Entschuldigung! Also für solche Dinge haben wir keine finanziellen Mittel!«, meinte er. Man hatte über seinen Kopf erörtert, erstens die Kulturecke auf ein Minimum zu schrumpfen oder ganz zu liquidieren und zweitens, für den Stadtanzeiger einen Stückpreis zu fixieren. »Nun zu Ihnen!«, sagte er. Ich begriff gar nicht, was er noch von mir wollte. »Angriff ist die beste Verteidigung!«, sagte ich mir und gab prompt einen mündlichen Bericht über das letzte Leipziger Seminar ab, das von der ersten Garnitur, also vom Geschäftsführer persönlich, geführt wurde: »Sehen Sie, Herr Anzengruber, Ihre Kölner Geschäftsleitung pfeift auf diese von Ihnen so viel gepriesene Kulturecke. Anzengruber sah mich ungläubig an. »Ich glaube, es war sogar Ihr Landsmann Kretzschmar!«, ergänzte ich und sah die Kölner Schmalztolle, bzw. den Lehrgangsleiter von neulich vor mir. Vergessen war die Kulturecke und das kulturelle Defizit im Osten. Anzengruber schob seine Oberlippe an die Nasenflügel, als wollte er sich einer Art Clownerie hingeben: »Also Herr Drehwolke, wenn Sie einen Kunden akquirieren wollen, dann avisieren Sie sich?« Diese Frage war natürlich nur ein Ablenkungsmanöver. »Nicht immer!«, antwortete ich, »manchmal falle ich einfach mit der Tür ins Haus!« »Soo?«, fragte Anzengruber und schaute in die leere Kaffeetasse. Frau Schindler goss nach. »Ich konzentriere mich auf den besonderen Vorzug des Kölner Anzeigers generell. Vor allem ist es ja so: Falls ein Kunde einen Auftrag für eine Anzeigenschaltung bestätigt, erscheint die Anzeige auch!« Ich redete Anzengruber vom Pferd rauf und runter und verwies besonders darauf, dass sich der Stadtanzeiger, obwohl er kostenlos sei, sich in jedem Ostdeutschen Briefkasten wiederfinden würde. »Ajahh!«, sagte Anzengruber nur und staunte Bauklötzer über mein allgemeines Gelabere. »Soll ich etwa nochmal Kaffee ansetzen?«, fragte Frau Schindler. »Hach«, rief sie plötzlich, »ich muss ja heute noch zur Fußpflege!« Anzengruber gaffte in die Runde. Die ehemalige Berufsschullehrerin, Frau Schindler, war zwar für das Rentnerdasein halbwegs abgesichert, aber aus Altersgründen für einen vorzeitigen Abgang aus dem Berufsleben prädestiniert. »Ich stehe auf der Abschussliste!«, sagte sie immer, wenn wir unter uns waren. Ihr war’s absolut wurscht, ob der Stadtanzeiger in den Briefkasten geknautscht oder vom Wind in der Luft zerfetzt wurde. Zwei Minuten später kam sie mit Mantel und Hut wieder, blieb vor Anzengruber stehen, um sich eigentlich zu verabschieden. Das vergaß sie natürlich total und bewusst und riskierte eine »Lippe«, eben weil sie in Kürze aus dem Berufsleben schied. »Aber Herr Anzengruber – Sie mit Ihren langen Stelzen! Soll ich mir kurz vor meinem Abgang noch die Hachsen brechen?« Dann war

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