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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ungelöst waren.
    Und sie bezweifelte, dass eine wirkliche Lösung möglich war, solange die Frau lebte. Doch falls sie starb und Wolf dafür die Verantwortung trug, dann würde dieses Problem auf ewig in der Zeit festfrieren, und Wolf wäre für sie völlig unerreichbar, emotional, seelisch und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch körperlich.
    Sie hatte keine Ahnung, was sie tun konnte, aber sie wusste, dass die Möglichkeit einer Lösung nicht im Irrgarten ihres Verstandes lag, sondern irgendwo da draußen auf den kalten Berggipfeln.
    Sie ging zur Tür. Vom Kamin her drang ein fragendes Knurren.
    Sie drehte sich um und sah Sneck an.
    »Warum nicht, mein Junge?«, sagte sie. »Ehrlich gesagt, ich bin froh, wenn ich dich bei mir habe.«

4
    Imogen stand hoch oben auf dem Pillar Rock, blickte hinab auf den River Liza, der sich sechshundert Meter unter ihr durchs Tal wand, und erinnerte sich an das erste Mal, als sie hier heraufgestiegen war, vor über einem Vierteljahrhundert.
    Damals war sie einfach mit Wolf mitgegangen, ohne zu wissen, wohin er wollte, aber in dem sicheren Gefühl, dass in diesem Jungen eine Lebenskraft steckte, von der sie einen Teil abhaben wollte.
    Tja, sie hatte ihren Teil bekommen, daran bestand kein Zweifel, manche würden sagen, sie hatte ihn fast leer gesaugt, obgleich auch er seinen gerechten Anteil an allem bekommen hatte, das sie zu bieten hatte.
    Nein, nicht seinen gerechten Anteil, weil Gerechtigkeit nichts damit zu tun hatte.
    Er war aus seiner Welt in die ihre getreten, aber es war unmöglich und zugleich nicht wünschenswert gewesen, dass er diese andere Welt zu seiner machte.
    Unmöglich, weil sich trotz aller gesellschaftlicher Schönfärberei des modernen demokratischen Zeitalters nichts daran geändert hatte, dass der Emporkömmling niemals wirklich ganz oben ankommen konnte.
    Und nicht wünschenswert schon deshalb, weil Wolf einfach zu viel von dem hätte opfern müssen, was ihn ausmachte, um sich dem Moralkodex ihrer Kreise zu verschreiben, der im Grunde lautete: Dein Wille allein ist Gesetz. Und wenn er das getan hätte, wäre er für sie uninteressant geworden.
    Hier oben blies ein heftiger Wind. Sie setzte sich und drehte ihm den Rücken zu. Sie hatte mehrere Schichten Kleidung an, doch seine eisigen Finger drangen ihr trotzdem bis auf die warme Haut. Den Pillar Rock als Treffpunkt vorzuschlagen zählte nicht gerade zu den cleversten Ideen, die sie je gehabt hatte. Warum hatte sie das getan? In gewisser Weise war es typisch für die Art, wie sie so ziemlich viel in ihrem Leben angegangen war, eine instinktive Entscheidung, ohne Rücksicht auf Vernunft oder Konsequenzen. Doch gleichzeitig war es auch untypisch, ein Hinausgreifen aus dem Willkürlichen – auf der Suche nach einer Gesetzmäßigkeit.
    Hier hatte alles begonnen. Hier würde alles enden.
    Wie es enden würde, das konnte sie nicht vorhersagen. Als sie versucht hatte, Wolf über Weihnachten zu sehen, hatte sie angenommen, dass sie noch immer Macht über ihn hatte. Ihr Eindruck, dass er ihr bewusst aus dem Weg ging, hatte diese Annahme bestätigt. Doch nach dem, was mit Toby und den Nutbrowns passiert war, lagen die Dinge anders. Ein erster Schritt war gemacht worden, und sie wusste aus eigener Erfahrung, wie viel leichter ein zweiter Schritt war.
    Seltsamerweise hatte das gesteigerte Gefühl, ein Risiko einzugehen, sie umso entschlossener werden lassen, die direkte Konfrontation mit ihm zu suchen. Sie genoss die Gefahr, solange sie ihr ins Auge sehen konnte. Was sie nicht mochte, war, entspannt in der Badewanne zu liegen und das Summen einer unsichtbaren Wespe zu hören. Oder, um es poetischer auszudrücken (sie schrieb gelegentlich Gedichte), sie wollte nichts anderes, als durch die Wälder ihrer Zukunft streifen zu können, ohne ständig die Ohren spitzen zu müssen, ob sie in der Ferne Axtschläge hörte.
    War sie ein kaltherziges Luder, wie ein abgelegter Liebhaber sie einmal genannt hatte? Sie hatte gründlich über die Anschuldigung nachgedacht und fand nicht, dass sie zutraf. Im Vergleich zu ihrer Mutter sah sie sich sogar als impulsives und gefühlvolles Wesen. Sie hatten so viel gemeinsam, und doch gab es Bereiche, in denen sie einander ein einziges Rätsel waren. Als Kira erklärt hatte, das Einzige, wo sie Wolf noch lieber sähe als im Gefängnis, wäre tief begraben unter der Erde, hatte sie schlicht und ergreifend gesagt, was sie dachte. Für Imogen war keines von beidem eine

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