Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
Freiheit und Versöhnung zu werden. Es war, als könnte Hadda seine Verdrängung nur aufrechterhalten, indem er auf völlig abwegige Extrembeispiele zurückgriff, um positive Selbstbilder zu finden.
    Wenn er lange genug in dieser Richtung weitermachte, stand zu hoffen, dass er irgendwann unversehens auf sich selbst stoßen würde. Und dann wäre es an ihr, ihn weg vom Selbsthass und hin zu eindeutig heilsameren Kanälen zu dirigieren.
    Unterdessen wäre es gut, wenn sie ihm eine Erinnerung an Imogen als seine Märchenprinzessin entlocken könnte. Die Rückversetzung in jene Zeit, als sie zum Objekt seiner ausschließlichen und obsessiven Verehrung geworden war, könnte ihn zu der Frage bringen, ob tatsächlich seine Göttin gestürzt war oder er selbst.
    Und selbst wenn sich dieses zugegebenermaßen ideale Ergebnis nicht einstellte, das war die Zeit seines Lebens, über die sie am wenigsten wusste, weil ihr außer ihm selbst niemand darüber berichten konnte.
    Inzwischen war das leidenschaftliche Funkeln aus seinem Auge verschwunden, und er betrachtete sie prüfend.
    Er hat wieder etwas Neues für mich, dachte sie. Sie wusste, dass es süchtig machen konnte, über die eigene Vergangenheit zu schreiben. Bei vielen Patienten wurde es von einer Gewohnheit zum Zwang. Daher hatte er seit ihrer letzten Begegnung bestimmt weitergeschrieben.
    Aber je mehr er sich mit dem, was er schrieb, den intimsten Elementen seines Wesens annäherte, desto unsicherer wurde er natürlich auch, ob er sie daran teilhaben lassen sollte.
    Also leg keinen Übereifer an den Tag. Bedräng ihn nicht.
    Sie sagte: »Wolf, unsere Zeit ist fast um. Ich wollte Sie fragen, ob ich Ihnen irgendwas besorgen kann? Bücher, Zeitschriften, so was in der Art? Ich hätte das schon früher fragen sollen. Oder vielleicht etwas Persönlicheres. Irgendwas Bestimmtes zu essen? Oder anständige Leinentaschentücher, Seidensocken vielleicht?«
    Er schüttelte den Kopf, als wäre er ungehalten über ihren Themenwechsel oder vielleicht über die alberne Vorstellung, derlei Dinge haben zu wollen, und sagte: »Wir sprachen über Imo. Ich hab viel über sie nachgedacht, nachdem ich den letzten Teil geschrieben hatte.«
    Sie sagte: »Ja?«
    Er sagte: »Dass ich sie hasse, meine ich ehrlich. Aber ein Teil von mir hasst mich selbst, weil ich Hass empfinde. Ergibt das irgendwie Sinn?«
    Sie nickte und sagte ernst: »Es ergäbe keinen Sinn, wenn Sie nicht so empfinden würden.«
    Das war die richtige Antwort. Er holte ein weiteres Schulheft aus seiner Gefängnisjacke hervor.
    »Das hier dürfte Sie interessieren«, sagte er.
    »Danke«, sagte sie und nahm das Heft. Sie schlug es auf und überflog die erste Seite.
    Und wusste auf Anhieb, dass sie bekommen hatte, was sie wollte.

Wolf
1
    Ich war in so ziemlich jeder Hinsicht ein äußerst wilder Junge.
    Als ich gerade mal sechs Jahre alt war, starb meine Mam, Gott hab sie selig. Gehirnfieber, wie die Leute in unserer Gegend sagten. Wahrscheinlich war es eine Form von Meningitis, die zu spät erkannt wurde.
    Bei uns wohnte die Tante von meinem Dad, Tante Carrie. Oder richtiger, wir wohnten bei ihr in ihrem Farmhaus Birkstane. Da oben in Cumbria wird von den jungen Leuten noch immer erwartet, dass sie sich um die Alten kümmern. Dabei kann Carrie noch nicht richtig alt gewesen sein, als wir bei ihr einzogen. Birkstane und ein paar kleinere Felder waren das Einzige, was von der Farm ihres Mannes übrig geblieben war. Sie war mit Mitte vierzig Witwe geworden und schon mit Anfang fünfzig wurde sie ein wenig vergesslich. Außerdem litt sie an Arthritis, was ihre Mobilität einschränkte. Normalerweise hätten hilfreiche Nachbarn dort oben sie gut und gerne bis ins hohe Alter unterstützt, aber sie wohnte ein wenig abgelegen, etliche Meilen vom nächsten Dorf, Mireton, entfernt, genau am Rande vom Gut Ulphingstone.
    Dad war ihr einziger noch lebender Verwandter, und als er erfuhr, dass bei ihr schon eine Sozialarbeiterin vorbeigeschaut hatte, wusste er, dass etwas geschehen musste. Ich steckte damals noch in den Windeln, daher kann ich nur spekulieren, aber wie ich vermute, kam es ihm ganz gelegen, nach Birkstane zu ziehen. Als Familie eines Oberforstwarts hatten wir in einem Dienstcottage auf dem Land der Ulphingstones gewohnt, doch später hörte ich ihn oft sagen, nur ein Trottel lebt in einem Haus, aus dem ihn ein anderer Trottel jederzeit rausschmeißen kann, wenn ihm danach ist. Nicht, dass er Sir Leon für einen Trottel hielt.

Weitere Kostenlose Bücher