Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
ehrlich zu sein, ich hatte nur noch wenig emotionale Energie übrig, um mich um die Kümmernisse anderer zu sorgen. Während die Monate verstrichen, ging mein körperlicher Heilungsprozess mit einem mentalen Abbau einher. Meine anfängliche Zuversicht, dass doch wohl niemand diesen wahnwitzigen Anschuldigungen Glauben schenken konnte, wurde durch die Beweise ausgehöhlt, die die Ermittler unermüdlich sammelten. Nach ein paar Wohnungsdurchsuchungen hatten sie genug Beweismaterial zusammen, um mich darin zu ertränken. Trapp meinte, sie legten ihre Karten so offen auf den Tisch, weil es Zeit und Geld sparen würde, wenn ich mich in allen Punkten schuldig bekannte. Das traf vor allem auf die Betrugsanklage zu, die sich über Monate hinziehen konnte, wie jüngste Erfahrungen gezeigt hatten.
»Sollen sie doch!«, war meine erste Reaktion. »Denen geht eher die Puste aus als mir.«
Ed schüttelte den Kopf und sagte schwermütig. »Wohl kaum. Jedenfalls, bis dahin sitzt du mit hoher Wahrscheinlichkeit schon im Knast. Deshalb haben sie die andere Sache zuerst angesetzt.«
Er bezeichnete die Kinderporno-Anklage für gewöhnlich als »die andere Sache«.
Schon bald wurde offensichtlich, dass Stoller, mein Prozessanwalt, meine Chancen in dem Pornofall ebenso pessimistisch einschätzte wie Trapp. Er fragte mich, worauf ich plädieren wollte.
Ich explodierte. »Nicht schuldig, natürlich!«
Er holte tief Luft wie ein Klempner, den man um einen Kostenvoranschlag gebeten hat, und sagte: »Wir wollen nichts überstürzen. Nicht ehe wir sämtliche Optionen …«
Ich sagte: »Die einzige Option für mich ist nicht schuldig, weil ich unschuldig bin. Jeder, der mich etwas besser kennt, kann unmöglich denken, dass mich dieser Dreck anmacht. Und wenn Sie mir nicht glauben, dann sollte ich mir vielleicht einen anderen Anwalt suchen.«
Er lächelte und sagte: »Selbstverständlich glaube ich Ihnen jedes Wort, Sir Wilfred. Ansonsten könnte ich meine Arbeit nicht machen. Aber die Beweislast gegen Sie scheint erdrückend. Und ich fürchte, so wie sich die britische Bevölkerung mittlerweile an den Gedanken gewöhnt hat, dass sexuelle Perversionen hinter den ehrbarsten Fassaden lauern, wäre sogar Jesus Christus bei seiner Wiederkunft gut beraten, wenn er sich sein Lasset die Kindlein zu mir kommen verkneifen würde.«
Ich hatte verstanden. Er hatte sich die Beweise der Anklage angesehen und war seitdem alles andere als von meiner Unschuld überzeugt.
Ich denke, in diesem Moment ließ mein Kampfeswille deutlich nach. Solange ich mir hatte einreden können, dass die meisten Leute, die mich kannten, selbst wenn sie mich nicht besonders mochten, die Kinderpornoanklage absurd finden würden, ganz gleich, welche Beweise die Polizei zutage förderte oder welchen Mist die Zeitungen druckten, hatte ich noch etwas gehabt, woran ich mich klammern konnte.
Jetzt, da ich mich durch Stollers Augen betrachtete, sah ich, dass die meisten meiner Bekannten wahrscheinlich keineswegs erklärten: Wolf Hadda? Nie im Leben steht der auf so was! , sondern wohl eher sagten: Hadda? Ach nee. Wer hätte das gedacht? Aber eigentlich war er schon immer irgendwie seltsam …
Und wie ich bereits andeutete, wurde die Bereitschaft, das Schlimmste von anderen zu glauben, die sich zwangsläufig aus der Abwärtsspirale moderner Werte ergeben hat, durch mein verändertes Aussehen nur noch verstärkt.
Stoller wollte sich gerne mit der Staatsanwaltschaft einigen. Er meinte, wenn ich mich schuldig bekannte, illegale Bilder runtergeladen zu haben, könnte er die Anklage überreden, die damit verbundenen Vorwürfe, ich hätte die Pornowebseite InArcadia mitfinanziert und wäre an einem ihrer Videos beteiligt gewesen, ad acta zu legen.
»Was das angeht, ist die Beweislage wesentlich dürftiger«, sagte er. »Und auf den ersten Blick wirkt es doch irgendwie unlogisch, dass Sie sich Bilder von der Seite runtergeladen haben sollen, wenn Sie nicht nur einer der Organisatoren waren, sondern sogar aktiver Teilnehmer an den Videos.«
Ich wurde hellhörig und sagte, da ich das Ganze ohnehin als abgekartetes Spiel entlarven wollte, könnten wir diese Schwachstelle doch sicher für unsere Zwecke nutzen.
Er antwortete geduldig: »Es ist eine sehr unbedeutende Schwachstelle, und wenn wir sie ausnutzen, wird die Gegenseite die schwerer wiegenden Vorwürfe aufs Tapet bringen. Wie es aussieht, könnten Sie mit einer relativ kurzen Gefängnisstrafe für das Herunterladen der Videos
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