Rache: Zwei Schwestern. Ein Traum. Die Stärkere gewinnt (German Edition)
doch nur ein Missverständnis.«
»Du Mistkerl.« Amber sah ihm ins Gesicht, sah sein mildes Lächeln und wünschte sich, ihm dieses Lächeln aus dem Gesicht schlagen zu können. Er war so verdammt selbstherrlich, so sicher, dass er der Größte war und blieb!
»Amber, so habe ich dich ja noch nie erlebt. Komm, trink einen Tee. Das beruhigt dich ein bisschen.«
Sie holte tief Luft. »Sag mal, meinst du das ernst?«
»Aber ja. Hör zu, Baby, du bist nicht du selbst. Du musst dich beruhigen.«
Verdammter, arroganter Wichser. Sie betrachtete ihn genauer und sah zum ersten Mal den Bauchansatz, den er zu verbergen versuchte, die schwammig gewordenen Konturen seines Gesichts, die blutunterlaufenen Augen, und verstand endlich. Er sprach offensichtlich immer mehr dem Kokain zu; die Nebenwirkungen machten sich inzwischen deutlich bemerkbar. Nein, das brauchte sie nicht. Das brauchte sie wahrlich nicht!
Es erschien ihr passend, dass diese letzte Aussprache bei Leo stattfand. Hier hatte sie ihn das erste Mal besucht, als sie noch die scheue, naive Zwanzigjährige war. Das große weiße Haus im spanischen Stil war das erste Zuhause gewesen, das sie in L. A. gefunden hatte. Wo sie mit Maria befreundet gewesen war und ihr genau hier, auf dem perfekt manikürten Rasen, die Tanzschritte zu »Baby one more time« gezeigt und wo sie mit Marco gelacht und geplaudert und getratscht hatte. Zum ersten Mal seit vielen Monaten dachte sie an die beiden. Was mochte mit Maria geschehen sein? Und wo war Marco? Sie waren ihre Freunde gewesen und nach und nach ins Abseits gedrängt worden. Wegen Leo. Wegen Leo hatte sie aufgehört zu singen. Wegen Leo hatte sie ihre Freunde und ihre Identität verloren. Und wegen Leo verlor sie nun ihre Schwester.
Es war gar nicht so sehr die Demütigung, die ihr so naheging, obwohl alle Welt Mitleid mit ihr hatte und sie diese Aufmerksamkeit hasste und es verabscheute, dass sie sich nicht hinter einer Rolle verstecken konnte. Es war auch gar nicht die Tatsache, dass sie ihre Schwester in ihrem Zuhause willkommen geheißen und diese es ihr damit gedankt hatte, ihr die Rollen und den Freund zu stehlen.
Viel schlimmer war, dass sie zu begreifen begann, welchen Anteil sie sich selbst zuschreiben musste. Sie hatte das alles zugelassen. In den knapp sechs Jahren, die sie mit Leo zusammen gewesen war, hatte sie in einem goldenen Käfig gelebt, in den sie sich freiwillig begeben hatte.
Wer war sie?
Sie hatte keine Ahnung. Sie, Amber Stone, hatte keine Ahnung. Wie jämmerlich.
Sie hielt die Zeitung hoch, eine von vielen, die die Fotos von Chelsea und Leo am Strand abgedruckt hatten. Chelseas graues Oscarkleid stand an den Seiten offen, und Leo hatte seine Hände hineingeschoben. Seine Miene zeigte fast kindliche Freude.
»Schau, Leo«, sagte sie, »siehst du eigentlich nicht, was du tust? Aber für dich ist alles nur ein Spiel, nicht wahr?«
Leo sah sich um, dann tätschelte er ihr die Schulter. »Amber«, begann er wieder, »die ganze Sache tut mir schrecklich leid, und ich fühle mich …«
Sie unterbrach ihn erneut. »Nein, Leo, es tut dir nicht leid. Und du fühlst dich auch nicht schrecklich. Lüg mich nicht an.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Ich glaube, du fühlst eigentlich gar nichts.«
Sie hatte recht. Leo empfand eigentlich nichts. Er liebte Amber nicht. Er hatte zu dem Videoband, das er bei ihrem ersten Mal aufgenommen hatte, viele, viele Male masturbiert, aber es war schon sehr lange her, dass sie persönlich ihm ein ähnliches Vergnügen hatte bereiten können.
Er hatte von ihr alles bekommen, was sie zu geben gehabt hatte.
Er liebte das, was sie ihm verschaffte – Geld und Ansehen –, und er schlief gerne mit ihr; nicht so gerne wie mit Chelsea, aber, hey, niemand war perfekt. Sie hatten eine gute Zeit gehabt, hatten einige Jahre voneinander profitiert und genutzt, was zu nutzen war. Es war ja nicht strafbar, eine Affäre zu haben, nicht wahr?
Und vielleicht war es einfach Zeit für eine Veränderung. Er dachte an Chelseas Porzellanteint, ihr schwarzes Haar, ihre blauen Augen – alles an ihr war so lebendig, so sexy, so leidenschaftlich. Er dachte an diesen frühen Morgen am Strand, als sie Kaffee getrunken hatten, er seine Jacke um sie gelegt und seine Hände in ihr Kleid geschoben hatte, während die Wellen ans Ufer schlugen. Wer hätte auch ahnen können, dass jemand wie wild fotografierte! Verdammt! Woher hatten diese Schufte es gewusst?
Aber er erinnerte sich auch
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