Rache: Zwei Schwestern. Ein Traum. Die Stärkere gewinnt (German Edition)
hörten, wie der Wagen die Einfahrt verließ.
59
A mber fuhr auf den Santa Monica Freeway und, so schnell sie konnte, zum Flughafen. Blinzelnd starrte sie durch die Windschutzscheibe auf die nächtliche fünfspurige Straße, die von Palmen gesäumt wurde. Sie kämpfte gegen die Übelkeit an. Die Bilder, die sie heute Abend gesehen hatte, würde sie niemals wieder aus ihrem Kopf löschen können. Aber fast genauso schrecklich war Chelseas Reaktion gewesen. Ihre Schwester hatte es gar nicht interessiert, was genau sie da sah. Und plötzlich begriff Amber, dass Chelsea aus ebendiesem Grund eine so großartige Schauspielerin war.
Besser, als sie, Amber, jemals sein konnte.
Chelsea hatte gelernt, sich von allem zu distanzieren. Nur zu sehen, was sie sehen musste. Amber fuhr weiter. Um zehn Uhr ging ein Flug; vielleicht schaffte sie es noch. Sie konnte in acht Stunden wieder in New York sein und mit Matt am nächsten Tag proben. Er brauchte nicht zu erfahren, was geschehen war.
Sie hätte es ihm sagen können; sie wusste, er würde sie verstehen.
Aber sie wollte nicht. An ihm haftete noch nichts von dem Schmutz dessen, was in Los Angeles geschehen war.
Er war Teil ihrer Zukunft.
Das Schicksal war offenbar an jenem Abend auf ihrer Seite. Am Flughafen stellte sie sich in die Schlange für Stand-by-Tickets und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf ihre Tasche. Die Sonnenbrille noch auf ihrer Nase, denn sie war unendlich müde, fühlte sich innerlich leer, und die Neonröhren und die klimatisierte Luft machten ihr zu schaffen. Irgendwie kam ihr die Umgebung irreal vor, als sei sie in einem Film oder in einem Traum … einem Alptraum …
Als sie endlich an der Reihe war und an dem Schalter stand, blickte die Frau auf den Namen auf ihrer Platin-Amex und sagte beinahe empört: »Ja, Miss Stone, wir haben definitiv Platz für Sie. Hätten Sie uns vorher Bescheid gegeben, hätten wir Sie von jemandem abholen lassen.« Offenbar schockierte sie die Vorstellung, dass eine Berühmtheit mit ganz normalen Menschen in einer Schlange hatte stehen müssen … wie entsetzlich!
Amber war es egal. Es gefiel ihr, wieder normal zu sein. Sie streifte jeden Tag ein bisschen von ihrem Ruhm ab, und es fühlte sich großartig an. Trotzdem dachte sie nicht daran, je wieder Holzklasse zu fliegen – nie und nimmer!
Sie ließ sich zur First Class Lounge führen und nahm das Glas Champagner entgegen, das ein Kellner ihr reichte. Die Lounge war ein ruhiger, sanft beleuchteter Raum, in dem duftende Kerzen brannten. Dankbar ließ sich Amber auf eine weiche Lederbank sinken und nahm einen Schluck aus dem Glas. Vor Wonne seufzend, lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Was für ein Tag.
»Herrgott.« Eine weiche Stimme mit schottischem Akzent. »Amber?«
Sie wandte sich zum Tisch neben ihr um.
»Erkennst du mich nicht mehr?« Der Mann klappte seinen Laptop zu.
»Natürlich erkenne ich dich«, sagte Amber, sprang auf und schlang die Arme um ihn. »Marco! Wie, zum Teufel, geht’s dir? Oh, mein Gott!«
»Mir geht’s gut, kleine Miss Amber, sehr gut«, sagte Marco, schroff vor Verlegenheit. »Es ist verdammt lang her, nicht wahr?« Behutsam machte er sich los.
»O ja.« Amber betrachtete ihn genauer. Er sah fast noch so aus wie früher: rasierter Kopf, hohe Wangenknochen, die wunderschönen Augen. Ja, er war ein wenig älter geworden, aber die Zeit war freundlich mit ihm umgegangen. Er trug einen grauen Kapuzenpulli aus Kaschmir, und über seiner Schulter hing eine Louis-Vuitton-Tasche. Seine Finger trommelten auf sein MacBook, und sie erinnerte sich mit einem scharfen sehnsüchtigen Schmerz daran, wie viel Spaß sie zusammen gehabt hatten, was er ihr über Rhythmus und Bewegung beigebracht hatte, was über Musik – so vieles über Musik! Er war ein wunderbarer Freund gewesen, und jemanden wie ihn hätte sie die vergangenen Jahre bitter nötig gehabt. »Du hast mir gefehlt«, sagte sie schlicht.
Marco verzog den Mund. »Liebes, du warst diejenige, die …«
»Ich weiß.« Sie schob sich ihr rotgoldenes Haar aus dem Gesicht. »Hör zu, ich weiß inzwischen, dass du es damals nicht gewesen bist. Das mit der Story über mich und Leo …«
»Ja, ich weiß das auch«, sagte er knapp. »Und ich habe es dir gesagt. Mehrmals. Aber du hast mich dennoch abgeschoben. Komplett aus deinem Leben gestrichen.«
Sie konnte das nicht bestreiten, also legte sie nur ihre Hände auf seine. »Ja. Hör zu, ich war jung und dumm und habe auf
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