Rache
Ausschau gehalten hatte, öffnete sie die Konsole zwischen den beiden Vordersitzen. Dort bewahrte Duane nicht nur sein Handy, sondern auch einen kleinen Beutel mit Münzen sowie ein paar Straßenkarten und Papierservietten auf.
Aber was sonst noch?
Sie nahm den Packen Servietten heraus und legte ihn sich auf den Schoß, bevor sie weiter in der Konsole herumwühlte.
Seit den Rassenunruhen von 1992 führten viele Bürger von Los Angeles Schusswaffen in ihren Fahrzeugen mit. Sherry selbst tat das, und viele ihrer Freunde auch. Es war zwar verboten, aber die Leute ließen sich lieber vor Gericht stellen als umbringen. Und so versteckten sie ihre Pistolen und Revolver in Handschuhfächern und Konsolen, unter den Autositzen oder in speziell angefertigten Holstern, die man verdeckt unter dem Armaturenbrett befestigen konnte.
Duane hat so etwas bestimmt nicht.
Außer er ist der größte Heuchler weit und breit.
War.
Duane hatte Sherry immer »waffengeil« genannt und doziert: »Mit einer Knarre ist noch nie ein Konflikt gelöst worden.«
Aber das muss nicht bedeuten, dass er selbst keine hat, sagte sich Sherry, während sie weiter in der Konsole herumsuchte. Man hörte schließlich immer wieder mal von glühenden Gegnern der Waffenlobby, die selber Handfeuerwaffen zu Hause hatten. Es sah so aus, als wollten sie alle Waffen abschaffen bis auf ihre eigenen.
Falls Duane eine hatte, dann bewahrte er sie nicht in seinem Auto auf. In der Konsole war überhaupt nichts, was man auch nur annähernd zu einer Waffe hätte umfunktionieren können. Nicht einmal einen Dosenöffner. Sherry klappte die Konsole wieder zu.
Mit dem Gürtel um ihren Hals, konnte sie nicht bis zum Handschuhfach langen. Und auch nicht unter den Sitz.
Da ist sowieso nichts zu finden, dachte sie.
Du bringst mich um, Duane. Weißt du das?
Plötzlich war sie froh darüber, dass sie nie mit ihm geschlafen hatte.
Und gleich darauf fühlte sie sich schuldig, weil sie so etwas gedacht hatte.
Wegen mir musste er sterben, und ich habe mich ihm nicht einmal richtig hingegeben. Habe ihn immer auf ein anderes Mal vertröstet. Habe mir irgendwelche Ausreden einfallen lassen … als hätten wir alle Zeit der Welt. Und jetzt ist er tot.
Ob das wohl seine Form der Rache ist?, fragte sie sich.
Aber wofür? Dafür, dass ich es nicht mit ihm getrieben habe? Oder dass ich ihn losgeschickt habe, um Kondome zu kaufen? Dafür, dass ich einen wahnsinnigen, mordlüsternen Stalker in sein Leben gebracht habe?
Er hätte allen Grund, mich zu hassen, dachte Sherry. Aber das hatte nichts damit zu tun, dass er sie durch seinen Anti-Waffen-Fimmel der Mittel beraubt hat, ihr eigenes Leben zu schützen.
Das geht aufs Konto seines blöden, falsch verstandenen Idealismus. Weil du ein fanatischer Waffengegner warst, Duane, muss ich jetzt die Zeche zahlen.
Sherry wünschte, sie säße jetzt in ihrem Jeep Cherokee.
Dort läge jetzt eine 38er in der Konsole, mit der sie Toby den Schädel wegpusten könnte.
Stimmt nicht, dachte Sherry. Die Pistole lag gar nicht in ihrem Jeep. Sie hatte sie in ihre Wohnung gebracht, bevor sie den Wagen zur Reparaturwerkstatt gefahren hatte.
Vielleicht könnte Toby mich zu mir bringen?
Schon vorher, als ihr das mit der Pistole noch gar nicht bewusst gewesen war, hatte Sherry versucht, ihn mit dem Hinweis auf ein schönes Bett in ihre Wohnung zu locken. Aber aus irgendeinem Grund hatte Toby sich dagegen entschieden.
Ach ja. Weil ich mich zu gut mit meinen Nachbarn verstehe.
Das hat man davon, wenn man freundlich zu den Leuten ist, dachte sie.
Mit einer der Servietten tupfte sie die Schnittwunde unter ihrer linken Brust ab. Sie schien nicht länger zu bluten. Nachdem sie sich das Blut vom Bauch gewischt hatte, tastete Sherry die Wunde vorsichtig mit den Fingern ab. Obwohl ihr die Berührung furchtbar wehtat, zwang sie sich, die Wunde auf ihrer ganzen Länge zu untersuchen. Der Schnitt beschrieb eine etwa zehn Zentimeter lange, leicht sichelförmige Kurve, war aber überhaupt nicht tief.
Wo immer wir auch hingehen, ich muss die Wunde desinfizieren, dachte sie. Und sie mir verbinden. Irgendwo hat er bestimmt Verbandszeug.
Auf einmal erinnerte sich Sherry, dass Toby sich mal dafür und mal dagegen ausgesprochen hatte, zu ihm zu gehen.
Der kann sich nicht entscheiden.
Vielleicht hatte es ja etwas mit diesem Sid zu tun. Wer immer er auch sein mochte.
Sid ist der Typ, der Toby umbringt, weil er die Autoschlüssel verloren hat.
Dann wohnt er also
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