Rache
sie sich auf das Tor zustürzen, während Toby, der noch mit gespreizten Beinen oben in dem Spalt steckte, sich wilde Flüche ausstoßend mühte, auf die andere Seite zu kommen. Sie sah sich in die Hocke gehen und nach dem Messer greifen und rasch wieder aufspringen. Aber noch bevor sie damit nach Tobys nackter Flanke stechen konnte, ließ dieser sich auf der anderen Seite nach unten fallen und schrie, ohne dass Sherry ihm mit dem Messer etwas zu Leide tun konnte, in einem fort: »Jetzt mache ich dich fertig! Jetzt mache ich dich fertig! Dich und deine Scheiß-Familie!«
»Das war kinderleicht«, sagte Toby.
Ihre Chance war vorbei.
Er hatte das Tor überklettert und ließ sich, noch immer an der obersten Querstange hängend, auf der anderen Seite nach unten. Keuchend rang er nach Atem und schwitzte dabei so stark, als hätte er gerade geduscht. Selbstzufrieden grinste er Sherry an, während sein erigierter Penis durch die Lücke zwischen zwei Eisenstangen hindurch schräg nach oben in Richtung auf ihr Gesicht zeigte.
»Du warst ein braves Mädchen, Sherry«, sagte er. Dann ließ er los und landete erstaunlich leichtfüßig auf dem Betonboden. Er bückte sich und hob das Messer auf. »Vergiss nicht meinen Bademantel«, sagte er, während er von innen das Tor öffnete und für Sherry aufhielt. »Komm rein.«
Sie tat, was er befahl.
Nachdem er das Tor leise wieder ins Schloss gedrückt hatte, ließ er sich von Sherry seinen Bademantel reichen. Er schlüpfte hinein, machte aber den Gürtel nicht zu. »Du gehst vor«, sagte er.
Sherry steuerte auf die Treppe zu. Auf der Wasseroberfläche des Swimmingpools spiegelten sich die Außenlichter der Veranden im Erdgeschoss, aber auf keiner davon war ein Mensch zu sehen. Alle Fenster in der Anlage waren dunkel.
Es kann doch nicht sein, dass sie alle schlafen, dachte sie. Selbst in ruhigen Nächten litten einige ihrer Nachbarn unter Schlafstörungen. Sie standen auf, um auf die Toilette zu gehen, setzten sich vor den Fernseher oder lasen ein Buch. Und manche hockten stundenlang vor dem Fenster und schauten hinaus. Warum sollte es heute, wo der Wind ums Haus pfiff anders sein?
Aber sie sah keinen Hinweis darauf.
Hoffentlich bleibt das so, dachte sie. Sie wollte auf keinen Fall, dass noch mal jemand in diese Geschichte mit hineingezogen wurde.
Mit Toby dicht auf den Fersen, stieg Sherry langsam die Treppe hinauf. Weder ihr nackter rechter Fuß noch ihr in dem Turnschuh steckender linker Fuß machten dabei Geräusche, die man durch das Heulen des Sturms hätte hören können.
Zuerst war sie dabei durch die Hauswände vor dem Wind geschützt, aber oben auf der offenen Galerie schlug er ihr mit voller Wucht entgegen, zerzauste ihre Haare riss ihr die Bluse auf. Durch ihren zerschnittenen Rock, der in Fetzen zur Seite flatterte, spürte sie ihn heiß und trocken auf ihrer feuchten Haut.
Sherry gab sich keine Mühe, ihre Kleidung zusammenzuhalten. Es war niemand da, der sie hätte sehen können, und der Wind fühlte sich gut an.
Jedes Fenster, an dem sie vorbeikam, war dunkel.
Und geschlossen.
Auch die Türen waren alle zu.
Aus dem Inneren der Wohnungen drang nicht das leiseste Geräusch.
Die schlafen bestimmt alle, dachte sie.
Sie ging an einem Panoramafenster vorbei und konnte in ein vom Mondlicht erleuchtetes Wohnzimmer hineinschauen.
Die Vorhänge sind offen!
Sherry sah die dunklen Konturen von Möbelstücken und in einer Ecke des Raumes ein paar kleine, rot leuchtende Digitalziffern. Die Digitaluhr an einem Videorekorder, dachte sie.
Rasch schaute sie wieder nach vorn.
Ob Ronnie oder Chris wohl daheim sind?
Die beiden waren Flugbegleiter und kamen oft spät nachts nach Hause. Gut möglich, dass einer von ihnen noch wach war.
Und dann sitzt er im dunklen Wohnzimmer und sieht zu, wie wir vorbeilaufen?
Sherry fragte sich, was für einen Anblick sie und Toby wohl boten. Als wären sie gerade einem Albtraum entsprungen.
Wenn ihr uns gesehen habt, haltet euch raus. Bitte!
Vermutlich sind sie ja gar nicht zu Hause, dachte Sherry. Wahrscheinlich haben beide Flüge oder schlafen bei Freunden oder sind irgendwo in Ferien.
Wenn sie zu Hause wären, hätten sie bestimmt die Vorhänge zugezogen.
Das Panoramafenster lag jetzt hinter ihr, und Toby hatte keine Bemerkung darüber fallen lassen, obwohl auch er sicher hineingeblickt hatte. Von Chris und Ronnies Tür waren es nur noch ein paar Schritte bis zu Sherrys Schlafzimmerfenster, das nicht so groß war wie das
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