Racheakt
abschließend zum möglichen Tathergang äußerte. Ein sehr präziser Analytiker, pedantisch und objektiv.
»Du liebe Zeit. Ich bin ja schon von Berufswegen nicht zimperlich. Aber so eine Sache«, sagte er statt einer Begrüßung.
»Wir haben das auch noch nie gesehen. Aus dem Fernsehen kennt man solche Morde – aber hier bei uns …
Aber immerhin wissen wir inzwischen, wer die Tote ist. Anna Magdalena Kranz. Sie wohnte ganz in der Nähe des Fundorts.«
Peter Nachtigall beschränkte sich auf ein Minimum an Bewegung, als habe er Angst versehentlich den Körper des Opfers zu berühren oder in Kontakt mit dem Sektionsbesteck zu kommen. Automatisch senkte sich im Obduktionssaal seine Stimme, die in seinen Ohren auch stets einen seltsamen Klang annahm. Hier hatte der Tod so etwas Endgültiges, nicht wieder gut zu Machendes. Am Arbeitsplatz von Dr. Pankratz wurde besonders deutlich, was der Täter angerichtet hatte. Albrecht Skorubski stand blass und stocksteif neben ihm, wobei er es nach Möglichkeit vermied das Opfer direkt anzusehen.
»Na, bei dem Namen wird es sich hier ja wohl um ein sehr angepasstes und liebes Mädchen gehandelt haben«, meinte der zweite Rechtsmediziner, der Dr. Pankratz assistiert hatte und Peter Nachtigall schoss sofort durch den Kopf, dass Jule wohl nicht unbedingt der Name für ein angepasstes und liebes Mädchen war. Kein Wunder also. Wer hatte den eigentlich ausgesucht – seine Frau, ganz sicher! Wäre ja auch typisch!
»Also – die äußere Inspektion der Leiche ergab eine Schädelverletzung auf der linken Stirnseite, Amputationen der Brüste und des zweiten Zehs des rechten Fußes.«
Dabei deutete Dr. Pankratz mit seinen langen, knochigen Fingern zu den schmalen Füßen des Mädchens.
»Das ist uns gestern gar nicht aufgefallen«, meinte Nachtigall verblüfft.
»Das glaube ich gern. Es war ja sehr schlecht zu erkennen, bei all dem Moos, das sich in allen Zehenzwischenräumen fand. Wir haben es auch erst beim Waschen des Körpers entdeckt. So – wir konnten feststellen, dass der Schlag auf die Schläfe den Tod unmittelbar herbeigeführt hat. Es war ein ausgesprochen harter Schlag.« Dr. Pankratz nahm ein Gefäß vom Arbeitstisch. Der Inhalt war grau und hatte eine unspezifische Struktur. Mit seinem langen Zeigefinger wies er auf einen der seitlichen Bereiche und erklärte: »Die Schädeldecke splitterte und einzelne Knochenfragmente drangen in den Temporallappen ein.« Er drehte sich um, stellte das offene Gefäß mit dem Präparat ab und griff nach einem Röhrchen, in dem ein Knochenspan zu sehen war.
»Hier. Den habe ich in ihrem Hirn gefunden. Das war der längste, die anderen Splitter waren etwas kleiner.« Peter Nachtigall drehte das Röhrchen im Neonlicht und sah sich das Knochenfragment an. Es war etwa drei Zentimeter lang und schmal mit einer angebrochenen Spitze. Kopfschüttelnd gab er dem Pathologen das Röhrchen zurück.
»Danach muss der Täter den Körper zu der Stelle geschleppt haben, an der die Tote gefunden wurde. Ich habe mir den Fundort angesehen und nach meiner Einschätzung wurde das Opfer an anderer Stelle ermordet, bestimmt auf diesem Trampelpfad. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Täter sie überreden konnte ihm in den Wald zu folgen und sie erst dort erschlagen hat. Übrigens wurden ihr alle weiteren Verletzungen nach dem Tod zugefügt«, erklärte Dr. Pankratz weiter.
»Dann hat der Täter sie auf dem Weg nach Hause überfallen«, Peter Nachtigall sah die Szene vor seinem inneren Auge ablaufen: Ein hübsches Mädchen wird von einer finsteren Gestalt verfolgt und überrumpelt. Mit einem schweren Gegenstand erschlagen und in den Wald gezerrt. Er bekam eine Gänsehaut.
»Der Tatort kann nicht weit vom Fundort der Leiche entfernt sein. Das Risiko entdeckt zu werden wäre doch wohl sehr hoch, wenn der Täter die Leiche hätte weit transportieren müssen«, meinte Skorubski.
»Nicht, wenn er die Leiche zum Beispiel im Auto zum Badesee gebracht hat. Dann musste er nur noch warten, bis alles ruhig war und konnte sie dann zu dem Moosbett tragen«, wandte Peter Nachtigall ein.
»Zu den Bewegungsspuren komme ich gleich. Wie dem auch sei – es wäre sicher gut, den Weg nach Tatspuren abzusuchen. Vielleicht wurde sie ja tatsächlich einfach auf dem Heimweg überfallen. Ganz klassisch – zur falschen Zeit am falschen Ort.«
»Die Spurensicherung hat weder auf dem Parkplatz noch auf diesem ausgetretenen Fußweg Spuren gefunden, die auf
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