Racheakt
um mich nach der alten Sache zu fragen? Wie soll ich das denn meinen Nachbarn erklären? Ich baue mir gerade mühsam ein neues Leben auf – und dann so eine Aktion! Für den Mord habe ich bezahlt – und ich bezahle noch heute! Wahrscheinlich werde ich mein Leben lang für die Tat bezahlen. Was wissen Sie denn schon von mir! Ich will jetzt mit einem Anwalt sprechen. Der wird meine Therapeutin anrufen und ich bin sicher, dass Frau Dr. Jung euch alles Weitere erklären kann.« Damit setzte er eine verschlossene Miene auf, verschränkte die kurzen Arme vor der schwabbeligen Brust und signalisierte eindeutig, dass er zu weiteren Auskünften nicht bereit war.
»Sie können uns auch einfach ein Alibi anbieten – für gestern Abend. Dann sind Sie sofort aus dem Schneider und können mit ihrem leichten Gepäck wieder die Heimreise antreten.« Peter Nachtigall beugte sich weit vor uns starrte dem anderen unverwandt ins Gesicht.
Schweißperlen standen auf Günter Graberts Oberlippe. Sein schütteres Haar klebte feucht am Kopf. In seinem Gesicht zuckte es unkontrolliert. Doch er schwieg beharrlich.
»Na, los!« Unbeherrscht schlug Peter Nachtigall mit der Faust auf den kleinen Tisch. Sein Kollege konnte gerade noch ein Umkippen seines Kaffeebechers verhindern.
»Einer wie ich ist meistens allein. Einer wie ich hat keine Freunde, die ihn anrufen und zum Bier einladen. Einer wie ich ist nicht gerade der Star unter der weiblichen Belegschaft – es gibt also auch keine Freundin, die zufällig gerade bei mir war.« Günter Grabert sprach resigniert und schleppend. »Ich habe also niemanden, der für mich bürgen könnte. – Und außerdem war gestern mein freier Nachmittag. So! Und jetzt hätte ich gerne einen Anwalt!«
»Was haben wir?«
Mit dieser Frage eröffnete Peter Nachtigall die abendliche Besprechungsrunde. An zwei Stellwänden pinnten Fotos vom Fundort der Leiche, einzelne Bildvergrößerungen zeigten die Verletzungen, die der Täter dem Opfer nach seinem Tod zugefügt hatte.
»Der Grabert, der ist unser Mann!«, stellte Skorubski fest.
»Lass uns doch der Reihe nach vorgehen. Wir haben noch überhaupt keine Eile. Er sitzt doch schon in U-Haft«, mahnte Peter Nachtigall.
»Wir kennen den Namen des Opfers. Sie war mit einem jungen Mann befreundet, angeblich eine spannungsfreie Beziehung.«
»Un wir wissen, dass sie luschtig g’wese isch, aufg’schlosse.«
»Dennoch hatte sie keinen wirklich großen Freundeskreis«, stellte Nachtigall fest. »Nur wenige Nummern waren abgespeichert und die Anrufliste belegt, dass sie überwiegend mit Ihrem Freund, Laura Hellberg und ihren Eltern telefoniert hat. Das ist ziemlich ungewöhnlich für ein Mädchen in diesem Alter.«
»Sie war immer pünktlich zu Hause, hat die Eltern verständigt, wenn sie später kam, hielt peinliche Ordnung. Ihre Freundin gibt an, sie habe nur diesen einen Freund gehabt, keine weiteren Beziehungen nebenher. Michael, haben Sie in der Schule nachgefragt?«
»Ja. Sie war eine mittelgute Schülerin. Hausaufgaben hat sie meistens g’habt, aber bei manchen Klausuren hatte sie so was wie einen Black-out. Also sicher keine Einserabiturientin. Die Tutorin ist aber insgesamt zufrieden gewesen. Pünktlich, ordentlich, zuverlässig.«
»Sie war auf dem Heimweg, als sie überfallen wurde. Das ist jetzt klar.«
»Von Günter Grabert«, warf Skorubski ein.
»Tja, das ist schon möglich. Aber für mich fühlt es sich falsch an. Ich sehe ihn mir an und irgendwie kann ich es nicht glauben, dass er das Mädchen umgebracht hat. Warum sollte er sein neues Leben aufs Spiel setzen – wenn wir Hinweise finden, die beweisen, dass er das Mädchen gekannt hat, können wir noch mal drüber reden. Aber mir ist die Lösung so viel zu einfach. Ein entlassener Sexualstraftäter arbeitet in der Nähe von Cottbus und mordet wieder.«
»Aber er hat schon einmal Gliedmaßen abgetrennt. Und was ist mit den Übereinstimmungen zu der damaligen Tat? Das können wir doch nicht einfach so ignorieren! Und außerdem ist die einfache, nahe liegende Lösung eben auch oft die richtige Lösung«, widersprach Skorubski.
»Außerdem händ mir doch grad eine Reihe solcher Fäll g’habt. Der Nachbar war ein entlassener Sexualstraftäter, eine Woch draußen, und schon hat er die Tochter des anderen missbraucht un ermordet.« Der Kollege war hörbar aufgewühlt.
»Ja, eben. Das ist wahr«, pflichtete Skorubski bei.
»Graberts damalige Tat war eine Beziehungstat. Er ist nicht
Weitere Kostenlose Bücher