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Racheakt

Racheakt

Titel: Racheakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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begann die alte Dame nun aufgeregt. »Ich hatte geschlafen – nur ein wenig, du weißt ja, alte Leute brauchen nicht mehr so viel Schlaf. Und als ich die Augen aufmachte, um auf meine Uhr zu sehen, da stand jemand neben meinem Bett!«
    »Vielleicht war es Jan-Hendrik, der nach dir sehen wollte.«
    »Hör bloß auf mit diesen Spielchen für dusselige Alte! Ich mag ja körperlich einigermaßen alt und gebrechlich sein, aber das merke dir, Peterchen, ich bin nicht senil, ich habe keinen Alzheimer, ich leide auch nicht unter Altersdemenz oder irgendeiner anderen Verwirrtheit!«, schnappte Tante Erna nach ihrem Neffen, der ein betroffenes Gesicht machte. »Natürlich kommt Jan-Hendrik manchmal nachts herein, um nach mir zu sehen. Er schaut mindestens viermal pro Nacht hier herein, um zu überprüfen, ob die alte Frau in diesem Bett noch lebt, oder ob sie vielleicht abgehauen ist und nun mit wehendem Nachthemd in der eisigen Novembernacht herumirrt. Natürlich war die Gestalt an meinem Bett nicht Jan-Hendrik!«
    »Gut. Aber wenn du nichts erkennen konntest – wie willst du dir da so vollkommen sicher sein?«
    »Jan-Hendrik ist schmächtig, wie du gesehen hast. Er quietscht beim Laufen und er hat immer kalte Hände. Wer auch immer hier stand war auf keinen Fall zartgliedrig und als er rauslief, quietschten seine Schuhe kein bisschen. Und außerdem roch er gar nicht nach Jan-Hendrik!«, fasste sie triumphierend ihre Argumente zusammen.
    »Er roch nicht nach Jan-Hendrik – das ist natürlich ein entscheidender Umstand.« Manchmal half nur noch Sarkasmus, tröstete sich Peter Nachtigall.
    »Denkst du jetzt gerade darüber nach, ob ich vielleicht doch komplett verblödet bin?!«
    Schuldbewusst zuckte ihr Neffe zusammen,
    »Ich kann dich denken hören! Aber entschuldige bitte, dass ich dich bei deinen Überlegungen hinsichtlich meiner geistigen Gesundheit unterbreche, um eine weitere Information zu geben: Der Eindringling roch nämlich ziemlich penetrant nach Davidoff – Jan-Hendrik benutzt einen Hauch Calvin Klein. Alles klar?«
    Sie warf ihrem Neffen einen skeptischen Blick zu.
    »Verstehst du – wenn Jan-Hendrik mich umbringen wollte, könnte er das jederzeit tun – völlig unauffällig. Warum sollte er nachts an mein Bett schleichen und sich auch noch vorher die Mühe machen sich mit einem anderen Herrenduft zu übergießen?«
    »Du bist doch erst seit Kurzem hier – kann es nicht ein ungewöhnlicher Schatten gewesen sein – oder ein Traummann?«, formulierte der Hauptkommissar seine Frage vorsichtig.
    »Niemals würde ein Traummann nach Davidoff riechen – das ist einfach eine völlig abwegige Annahme.«
    Er drohte ihr lachend mit dem Zeigefinger. »Nun, jetzt wäre eine günstige Gelegenheit für ein umfassendes Geständnis! Welche Reichtümer hast du uns verschwiegen?«
    »Ich gebe mich geschlagen. So viel polizeiliche Intelligenz lässt mich verzweifeln.« Tante Erna sah deprimiert auf das blasse Muster ihrer Bettdecke. Und Peter Nachtigall dachte an all die vielen Nächte, die sie so vor seinem Bett gesessen hatte, seine Hand tröstend in der ihren, wenn die Albträume ihn schreiend hatten aufwachen lassen. Sie hatte Sabine und ihm damals ein neues Zuhause gegeben, den beiden Waisenkindern, die nach dem Unfall der Eltern völlig alleine standen. Sie hatte es allemal verdient, dass sie sich jetzt um sie kümmerten. Warm drückte er ihre Hand.
    »Also keine Reichtümer, kein geheimes Motiv?«
    »Nein. Auch keine verdeckte Spionagetätigkeit, keine Mitarbeit in einer islamischen Terrorgruppe, kein zufällig beobachteter Raub oder Mord – meine Güte, mein Leben wird wirklich von Tag zu Tag langweiliger, Peterchen.«
    »Na hör mal – wir haben dich hier untergebracht, damit du jede Menge Kontakte zur Unterwelt knüpfen kannst, die mir dann bei der Aufklärung meiner Fälle hilfreich sein können«, scherzte der Neffe.
    Peter Nachtigall bückte sich. »Unter dem Bett hast du jedenfalls keinen Liebhaber versteckt.«
    »Na, das wäre auch selten dämlich. Den könnte man ja schon vom Gang aus sehen!«
     
    »Peter«, Tante Erna senkte ihre Stimme. »Hier an meinem Bett war jemand. Weißt du, mein Lieber, trotz allem neige ich nun mal nicht zu Spinnereien. Und eigentlich hätte ich von dir erwartet, dass du das weißt. Schließlich kennen wir uns schon mehr als vierzig Jahre.«
    »Du hast ja Recht, Tante Erna«, Nachtigall beschloss, die Tante nicht zu verärgern. Seine Diagnose stand bereits fest: Seine Tante

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