Racheakt
schon eine gepackte Reisetasche parat gehabt, als sie ihn abholten. In den vielen Jahren bei der Polizei hatte er so ein Verhalten eher selten erlebt.
»Ich hab mir halt schon gedacht, dass ich euch gleich einfallen werde, wenn ihr in dem Fall ermittelt. Aber ich war’s nicht!« Die Stimme Günter Graberts war seltsam monoton und leise, etwas heiser. Auf jeden Fall passte sie überhaupt nicht zu diesem schweren Mann, fand Albrecht Skorubski. Er warf Peter Nachtigall einen fragenden Blick zu.
»Ich hab ja die Bilder in den Nachrichten gesehen. Und es sah beinahe so aus wie damals bei Corinna. Also musstet ihr doch an mich denken, wo ich doch auch noch in Cottbus wohne, ganz in der Nähe vom Tatort. Aber ich war’s nicht.«
Die beiden Ermittler sahen ihn an und schwiegen.
»Ich mach so was nicht mehr. Wirklich! Damals, das war Scheiße. Ich war nicht ganz klar im Kopf. Ich weiß jetzt besser über mich Bescheid – und ich mach solche Sachen nicht mehr. Das müsst ihr mir einfach glauben!«
»Wozu haben Sie denn damals dem Mädchen den Zeh abgetrennt?«
»Ich wollte sie kennzeichnen! Alle sollten wissen, dass sie mein Mädchen war. Es war so was wie ein Brandzeichen. Ein Teil von ihr, den nie mehr jemand anderer als ich zu Gesicht bekommen sollte.« Günter Grabert sprach jetzt so leise, dass die beiden Ermittler den Atem anhielten um ihn noch verstehen zu können. Mit gesenktem Kopf fügte er hinzu: »Ich war wie besessen. Ihr wisst doch auch, dass ich zur Tatzeit nicht wirklich zurechnungsfähig war. Schließlich war das eine der Begründungen für die Einweisung in den Maßregelvollzug.« Er machte eine kurze Pause, verknotete die Finger ineinander, löste die Verschränkung wieder, begann erneut.
»Hört mal«, er versuchte beide Polizistenaugenpaare mit seinem Blick einzufangen und Peter Nachtigall bemerkte, dass Günter Grabert kurz davor war, in Tränen auszubrechen. »Hört mal, das war damals. Damals war ich ein verdrehtes Schwein. Sie hatte mir den Laufpass gegeben, hat einfach mit ’nem anderen Kerl ’rumgemacht. Als ich mich mit ihr aussprechen wollte, hat sie sich über meine Potenz ausgelassen, hat behauptet ich bringe es nicht mehr, sei ein Schlappschwanz und ihr neuer Stecher um Klassen besser, Mann. Und als ich dann zu spät zur Arbeit kam, hat der Chef mich fristlos gefeuert. Auf dem Weg zurück zu ihr hab ich mit meiner Karre einen Unfall gebaut und bin abgehauen. War ja zum Glück nur Sachschaden. Na, ja. Und dann hab ich sie gesehen, wie sie aufgebrezelt bis zum Anschlag zu ihrem Neuen losgezogen ist. Da ist was durchgebrannt bei mir. Und damals hab ich ja auch zugegeben, dass es mich angemacht hat, sie so herzurichten. Aber das ist lange her. Heute ist das alles ganz anders. Ich habe eine Psychologin, die mich schon lange betreut und ich nehme Medikamente. Ich weiß auch, dass ich heute nicht mehr fähig wäre, einen anderen Menschen so grausam zu töten und zu verstümmeln. Das müsst Ihr mir einfach glauben! Während Ihr mich hier verhört, läuft da draußen ein Verrückter rum – und Ihr kümmert euch um alte Geschichten. Könnt Ihr denn sicher sein, dass nicht grade in diesem Moment ein neuer Mord passiert?«
»Nein, natürlich nicht – aber wir können sicher sein, dass Sie nicht daran beteiligt sind«, schnappte Peter Nachtigall.
»Wo haben Sie denn damals den Zeh versteckt?«, fragte er dann.
»Ich hab ihn gar nicht versteckt. Ich hab ihn mir auf dem Heimweg immer wieder angesehen, weil ich ihn aufheben wollte. Als Erinnerung eben. Aber als ich den dann ausgewickelt habe – ich musste ihn ja wegen dem Blut in ein Taschentuch wickeln – da hat der bloß blass und verschrumpelt ausgesehen. Ich hab fast kotzen müssen, so eklig sah der aus. Später hab ich ihn dann zu Corinnas Grab gebracht. Irgendwie schien mir, sie solle wieder ganz komplett sein – deshalb kam einfach wegwerfen nicht infrage.«
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen.
»So, wie Sie das erzählen, klingt die Sache ziemlich harmlos! Aber Sie hatten den Zeh so hingelegt, dass man ihn finden musste, wenn man das Grab besuchte! Die Mutter der Toten erlitt einen dramatischen Nervenzusammenbruch, als sie das Glas mit dem eingelegten Zeh ihrer Tochter zwischen dem Grabschmuck fand!«, stellte Peter Nachtigall aggressiv klar.
»Mir reicht das jetzt hier!«, fauchte Günter Grabert die Ermittler an. »Diese Informationen sind in meiner Akte. Wozu fragt Ihr also! Ihr holt mich mit großem Aufgebot ab, nur
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