Racheakt
es mir auch recht.«
Es war besser, das Thema bis auf weiteres fallen zu lassen.
Viel später, als er sie zu ihrem Wagen begleitete und ihre Hand sich bei ihm unterhakte spürte er, er würde es sich nicht verzeihen, sie ernsthaft zu kränken. Seit Langem fühlte er sich mal ausgesprochen wohl in der Gesellschaft einer Frau. Warm verabschiedete er sich von ihr und sie vereinbarten ein weiteres gemeinsames Essen in den nächsten Tagen.
Eigenartig beschwingt und sich selbst ein wenig fremd, fuhr Peter Nachtigall nach Hause und ausnahmsweise hatten seine Gedanken rein gar nichts mit seinem aktuellen Fall zu tun.
Im Flur seiner Wohnung traf er überraschend auf Jule und ihren Freund, die gerade zur Disco aufbrechen wollten.
Wie eine junge Dame sah sie aus, musste der Hauptkommissar anerkennend zugeben. Mit seinem kleinen Mädchen hatte diese elegant gekleidete und zurechtgemachte Frau nicht mehr viel gemein. Offenbar war sie ihrem Freund zuliebe bereit gewesen die grellbunten Punkerklamotten im Schrank zu lassen. Statt einer Jeans mit eingeschnittenen Schlitzen, einem bunten Ringelpulli, Ringelsocken und zwei verschiedenen Turnschuhen trug sie jetzt einen dunklen, langen Cordrock, hochhackige Schuhe, eine weiße Bluse und selbst die hochgesteckten Haare glänzten golden. Da musste wohl ein Friseur beim Übertünchen der aschroten Farbe vom Morgen behilflich gewesen sein.
»Wie gut, dass du gerade kommst. Da kann ich dir meinen Freund vorstellen und du wirst sehen, dass du dir um mich keine Gedanken machen musst. Dies ist EM. Er wohnt in Berlin, hat Psychologie studiert und ist außerordentlich höflich und charmant.«
Dabei strahlte sie den jungen Mann verliebt an.
Vater und Freund standen sich schweigend gegenüber und taxierten sich von Kopf bis Fuß, wie zwei Kampfhunde vor dem ersten Biss. Peter Nachtigall war sich schmerzlich bewusst, dass er bei diesem direkten Vergleich nicht gut abschneiden konnte. Nach den letzten Tagen mit viel Tod und wenig Schlaf sah er nicht gerade ansprechend aus. Er hatte die dicken, dunklen Ringe unter seinen Augen beim Einsteigen in sein Auto auch bemerkt, er wusste, er wirkte nach einem langen Arbeitstag und trotz des schönen Abends nicht mehr frisch, jugendlich oder dynamisch. Den Vergleich mit dem schicken Yuppie an der Seite seiner Tochter, der in einem modernen Anzug steckte und dessen Schuhe nicht nur glänzten, sondern fast schon funkelten, konnte er nicht wagen. Also nickte er ihm nur zu. Ohne Lächeln.
Artig streckte der junge Mann die Hand aus und Peter Nachtigall, dem an diesem Abend nicht mehr nach Streiten zumute war, schlug ein.
»Passen Sie gut auf meine Kleine auf«, hatte er wirklich diesen abgedroschenen Satz verwendet? Wie peinlich. Das lag wohl an dem guten italienischen Wein, dachte er müde und schloss die Tür hinter den beiden.
Eine ausgiebige Dusche würde den Ärger des Tages wegspülen und mit ein bisschen Glück würde er wohl auch mal eine Nacht durchschlafen können. Er fühlte sich zerschlagen und als er etwas später in seinem Bett lag, kreisten seine Gedanken doch wieder um die Morde, die er so schnell wie möglich aufklären musste.
Kurz vor dem Einschlafen lachte er noch trocken auf und amüsierte sich über den Hang der Menschen zu eigentümlichen Modenamen. Was für ein Paar: Jule und EM. Hatte er heute nicht schon einmal so einen ungewöhnlichen Namen gehört? War wohl große Mode im Moment.
Als er mitten in der Nacht schweißgebadet hoch schreckte, brauchte er einige Minuten um Puls und Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann versuchte er den letzten Gedanken des blutigen Traums zurückzudenken, sich wie an einem dünnen Faden wieder in seine Albtraumwelt hinein zu hangeln. Als ihm das gelungen war, fuhr er sich mit den Händen durchs Gesicht, stand leise auf und ging ins Bad um die Schlafreste mit viel kaltem Wasser wegzuspülen.
Als er danach an seinem Schreibtisch saß und sich sein bleiches Gesicht in der schwarzen Scheibe spiegelte ahnte er, dass sie ganz von vorne würden beginnen müssen, sollten sich die Bilder aus seinem Traum bestätigen.
Die Opfer hatten den Täter nicht gekannt, nicht einmal von seiner Existenz etwas geahnt. Er suchte, jagte und schlug zu. Er konnte überall sein, hatte kein Gesicht. Und sie wussten nicht einmal, wie sein Spiel funktionierte.
Ein beunruhigender Satz von Frau Dr. Jung fiel ihm wieder ein: Konnte es sein, dass der Täter in Wahrheit eine Täterin war?
30
8.
Weitere Kostenlose Bücher