Racheakt
wies auf die Fotos vom ersten Tatort.
Nachtigall schnaubte ungeduldig.
»Vielleicht aber auch, weil er Angst hatte, sonst nicht Herr der Lage bleiben zu können. Angenommen wir suchen keinen Mann, sondern eine Frau. Sie hätte sicherstellen müssen, dass keine Gegenwehr mehr erfolgen kann, der sie nicht gewachsen ist. Und die beiden Opfer waren jung und durchaus sportlich genug um sich ernsthaft zu wehren.«
»Tja, nur kommt eine Frau für diese Morde nicht in Betracht. Frauen morden anders. Sie verwenden Gift oder Tabletten. Außerdem hat der Täter seine Opfer jeweils ein Stück weit getragen. Das schafft eine Frau nicht. Wir suchen einen Mann, groß, sportlich«, stellte Dr. März klar.
»Und welches Motiv wollten wir auch annehmen, wenn der Täter eine Frau wäre?«, fragte Dr. Pankratz.
»Tja, ich weiß noch nicht. Eifersucht, Fanatismus. Aber ich gebe zu, dass ich nicht sehe, wie eine Frau das Opfer hätte tragen sollen und ein plausibles Motiv erkenne ich auch nicht. Dennoch: Wir sollten diesen Gedanken nicht ganz außen vorlassen«, mahnte Nachtigall.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können!«, antwortete Dr. März und wedelte dabei mit der Hand, als wolle er weitere unliebsame Kommentare in die Flucht schlagen.
Als sie nach zwei Stunden eine Pause einlegten, waren viele Seiten beschrieben, aber der Täter noch genauso wenig greifbar wie am Morgen.
»Was haben wir?«, fragte Peter Nachtigall wie immer.
»Im Glad- House war sie unbekannt«, antwortete Michael Wiener.
»Ich habe hier den Bericht der Streife: Negativ in Mäxx und Lollipop.«
»Im UCI konnten sie mir auch nur sagen, dass ihnen das Mädchen aufgefallen war – aber an welchem Tag genau, daran konnten sie sich nicht erinnern und auch nicht daran, ob sie alleine oder in Begleitung war.«
»Schon was aus dem Labor?«
»Nein. Aber ich könnte nachher noch mal vorbeischauen und nachfragen«, bot Michael Wiener an.
Nachtigalls Handy klingelte.
»Wir haben das Mädchen identifiziert. Es handelt sich wohl mit großer Sicherheit um eine Jana Neumann, Friseurlehrling. Ihre Eltern haben angenommen sie sei bei einer Arbeitskollegin um sich auf die Prüfung vorzubereiten. Wir haben dort nachgefragt, doch die beiden Damen hatten sich gestritten und so war nicht sicher, ob Jana, nachdem sie zur Tür rausgestürmt war, wieder zu ihr zurückkäme. Sie hat sich auch keine Sorgen gemacht und ging davon aus, Jana sei zu ihren Eltern gefahren«, berichtete ein Kollege.
»Das habt ihr prima hingekriegt. Bringt die Eltern mit. Die sollen einen Blick auf das Opfer werfen. Und ich brauche noch den Namen und die Adresse von dieser Kollegin.«
Eine Stunde später hatten die Eltern ihre Tochter identifiziert. Es handelte sich tatsächlich um die neunzehnjährige Jana Neumann, die in einem Friseursalon in der Bahnhofstraße ihre Ausbildung gemacht hatte.
Peter Nachtigall saß im Büro und machte sich Notizen zu dem Gespräch, das er gerade mit Sylvia Klaus geführt hatte. Die beiden jungen Damen wollten ursprünglich für die Zwischenprüfung büffeln, doch dann hatten sie sich gestritten. Es sei um einen jungen Mann gegangen, der Kunde bei ihnen im Salon war. Ein Wort habe dabei das andere ergeben und auf einmal sei Jana wutschnaubend aus der Tür gestürmt. Sybille hatte angenommen, sie sei nach Hause gefahren. Davon, dass sie vorhatte ins Kino zu gehen, hätte Jana nichts gesagt. Dazu müsse sie sich spontan entschlossen haben.
War ihr Täter doch nach dem Zufallsprinzip vorgegangen? Hatte er seine Opfer doch nicht beschattet – ging seine Planung nicht so weit, wie sie gedacht hatten? Schließlich konnte er ja auch nichts von Janas überraschendem Kinobesuch gewusst haben. Oder sollte sie ihren Mörder selbst informiert haben – über Handy? Hatte sie ihn gekannt?
»Ich brauche die Liste der Telefonverbindungen von Jana Neumanns Mobiltelefon!«
Michael Wiener nickte.
»Ich kümmere mich drum.«
Nachtigalls Handy klingelte.
»Ja. Pankratz. Das Haar, das wir gefunden haben stammt von einem Mann. Mehr lässt sich bisher nicht sagen. Es handelt sich nach Auskunft der Kollegen um Schamhaar.«
Nachtigall steckte das Telefon wieder ein. Ein männliches Schamhaar. Also doch. Irgendwie war er froh sich von dem beunruhigenden Bild einer brutal mordenden Frau verabschieden zu können.
32
9. November
Ich sehe mich lange um. Die Spreegalerie ist bei diesem grauen und nasskalten Wetter ein beliebter Treffpunkt für die Jugendlichen der Stadt.
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