Racheblut
Angst«, sagte Tracy. »Vielleicht ist ihm etwas passiert.«
Auch Ash hatte Angst. Richtig Angst. Alles wirkte so surreal, und doch geschah es hier vor ihren Augen. Sie wandte sich an Nik.
»Ich glaube, ich habe draußen jemanden gesehen. Vor ein paar Minuten. Als ich die Fenster gecheckt habe.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet.«
Tracy rief wieder nach oben. Diesmal klang ihre Stimme fast schon hysterisch.
»Was machen wir bloß?«, fragte sie die beiden anderen.
»Bleib hier«, erwiderte Nik und ging mit schnellen Schritten in die Küche. Kurz darauf kehrte er mit zwei großen Messern zurück. Eines davon drückte er Ash in die Hand.
»Wir gehen hoch, nachsehen.«
Ash schaute ungläubig auf die Waffe in ihrer Hand. Der Gedanke, jemanden niederzustechen, bereitete ihr Übelkeit. »Bist du sicher, dass wir das sollten?«
»Ja«, erwiderte er entschlossen. »Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben, deshalb müssen wir alles überprüfen. Ich gehe vor, du kommst mir nach, Ash. Tracy, für dich habe ich keine Waffe gefunden, die du benutzen könntest, also bleibst du hier unten.«
Tracy schüttelte den Kopf. »Er ist mein Mann. Ich komme mit.«
»Okay, halte dich aber hinter mir. Du auch, Ash.«
Ehe sie Nik die Treppe hinauffolgten, schauten Ash und Tracy sich kurz an. Tracy sah genau so aus, wie Ash sich fühlte. Zu Tode erschrocken. »Was geht hier vor?«, fragte Tracy leise.
Ash fiel keine Antwort ein.
Die Treppe mündete oben in einen langen schmalen Flur, an dessen Enden sich jeweils eine Tür befand. In der Mitte gingen zwei weitere Türen ab. Sie waren alle geschlossen. Das Deckenlicht brannte, aber nichts rührte sich.
Die Stille war erdrückend, Ash konnte sogar den regelmäßigen Atem ihres Mannes hören.
»Guy«, sagte Nik. Seine Stimme hallte durch den Flur. »Wenn das ein Scherz ist, dann verspreche ich dir – und da kannst du Gift drauf nehmen –, werde ich nie, nie wieder ein Wort mit dir wechseln.«
Er wartete ab, immer noch hoffend, dass sein Freund aus einer Ecke gesprungen käme und ihnen eine rationale Erklärung für sein Verhalten lieferte.
Nichts geschah. Alles blieb still.
Als Ash und Tracy ebenfalls oben ankamen, hob Nik das Messer und öffnete vorsichtig eine der Türen, hinter der sich ein Badezimmer verbarg. Er machte das Licht an, ging aber nicht hinein. Das Bad war leer und viel zu klein, als dass sich jemand darin hätte verstecken können. Es gab nicht einmal einen Duschvorhang.
Nik atmete erleichtert auf, doch Ash sah das Messer in seiner Hand zittern. Und auch ihre eigene Waffe hielt sie so fest gepackt, dass ihre Knöchel weiß hervorschienen.
Langsam schlich Nik den Flur entlang und stieß vorsichtig die zweite Tür auf. Sie führte, wie Ash sich erinnerte, in das überzählige Schlafzimmer. Wieder blieb Nik vor der Tür stehen und schaltete das Licht an.
»Vielleicht ist er in unserem Schlafzimmer?«, meinte Tracy, als sie in das leere Zimmer und auf das unberührte Bett starrte. »Vielleicht ist er einfach eingeschlafen.«
»Ja, vielleicht«, sagte Nik.
»Vielleicht sind wir alle bloß ganz schön dumm«, fuhr Tracy schrill fort und lachte so laut und falsch auf, dass es wehtat. Ihre Stimme brach, und sie war nur noch einen Hauch von einem hysterischen Anfall entfernt. »Morgen früh können wir alle darüber lachen.«
»Was ist das da auf den Bettdecken?«, fragte Ash und deutete auf ein paar rötliche Flecken, die sich deutlich auf der dem Fenster zugewandten Seite des Bettes abzeichneten.
Plötzlich hörten sie von irgendwo ein schwaches gurgelndes Geräusch. Fast wie wenn jemand würgte, aber nicht ganz. Jedenfalls ein menschlicher Laut.
Niemand bewegte sich. Niemand sagte etwas. Denn alle wussten, es stammte von Guy.
Das Messer schoss wie eine Schlange hinter der Tür hervor und grub sich, geführt von einer behandschuhten Hand, tief in Niks Bauch.
Tracy schrie, aber Ash sah nur stumm zu, wie ihr Mann aufhustete und sich seine Augen weiteten.
Das Messer schoss wieder zurück, und eine schwarze Gestalt füllte den Türrahmen aus. Sie versenkte das Messer ein zweites Mal in Nik und stieß ihn dann wie eine nervende Schaufensterpuppe von sich, sodass er über das Geländer flog und die hölzerne Treppe hinunterstürzte.
Einen ewig langen Augenblick stand Ash Murray stocksteif da, genau wie damals, als sie überfallen worden war. Geschockt war sie offenbar unfähig zu begreifen, was vor
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