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Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Patterson
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solche Wellen schlägst?«
    Ich schüttelte affektiert grinsend den Kopf. »Wow, du hast schon das Kleid für die Amtseinführung ausgesucht, was?«
    Wenn Blicke töten könnten, hätte diese Geschichte genau hier geendet. Zum Glück können sie es nicht.
    »Es geht nicht um mich, Nick.«
    »In diesem Punkt liegst du völlig verkehrt. Es geht immer um dich, Brenda, und das wird auch immer so sein.«
    Das traf bei ihr einen Nerv, gelinde ausgedrückt. Ihr Gesicht wurde puterrot, ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Offenbar war es Zeit für sie, die Nachbarn zu wecken.
    »Du Wichser!«, rief sie. »Hast du gehört? Du Wichser! Du bist ja so eine Niete, Nick.«
    Mit diesen Worten marschierte sie aus meiner Wohnung und schnurstracks auf den Fahrstuhl zu, wo sie mit dem Zeigefinger auf den Abwärtsknopf stieß. Bestimmt brach ihr dabei der Nagel ab.
    »Heißt das, ich bekomme keine Weihnachtskarte von dir?«, fragte ich von meiner Wohnungstür aus.
    Ich hatte mir die schäbige Bemerkung nicht verkneifen können. Brenda brachte wie immer meine schlechteste Seite zum Vorschein.
    Die Fahrstuhltüren glitten zur Seite, und Brenda stieg ein – aber erst, nachdem sie sich das letzte Wort mit einem sprichwörtlichen Tritt in die Eier gesichert hatte. Sie wusste wirklich, wie man einem Mann und ganz besonders mir wehtat.
    »Apropos mein neuer Freund«, sagte sie. »Er ist weiß Gott besser im Bett als du!«
    Autsch.

44
    Am nächsten Morgen betrat ich die große, gewölbeartige Halle der Grand Central Station und wand mich durch die umherschwirrende Menge von Touristen und übers Wochenende angereisten Vorstädtern. Ich liebe diesen Bahnhof und kann Jacqueline Onassis gar nicht genug dafür danken, dass sie ihn einst gerettet hat.
    Wie aus dem Nichts stieß ich mit der Schulter gegen einen jungen Mann mit Rucksack. Während wir uns höflich und knapp entschuldigten und getrennter Wege weitergingen, warf ich einen Blick auf sein T-Shirt. In großen Buchstaben stand »RETTET DARFUR« darauf.
    Natürlich musste ich an Dr. Alan Cole denken und fragte mich, was er so trieb – und wo er es trieb. Hoffentlich wäre er bald wieder in der sicheren Heimat.
    Das mit der sicheren Heimat galt leider nicht für mich. Nach allem, was ich seit der Rückkehr aus Darfur erlebt hatte, sehnte ich mich beinahe nach dem relativen Frieden und der Ruhe, die die Flucht vor den Dschandschawid und die Gefahr, von ihnen erschossen zu werden, für mich bedeutet hatten.
    Vielleicht freute ich mich deswegen so sehr auf diesen Tag und darauf, wie ich ihn verbringen würde.
    Es würde nämlich kein Gerede über Mord, keine Erwähnung von Bandenkriminalität, keine Diskussion über den geheimnisvollen Fremden geben, der mir gesagt hatte, ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern.
    Dazu bedurfte es nur zweier Boxenplätze in der zweiten Reihe im Yankee-Stadion. Ich würde auf dem einen sitzen
und der Mittelpunkt meines gegenwärtigen Universums auf dem anderen. Ich bekam Besuch von meiner Nichte Elizabeth.
    Ihr Ausweis verrät, dass sie vierzehn ist, aber das merkt man nicht. Sie ist weit über ihr Alter hinaus und zufällig das tapferste Kind, das ich kenne.
    Nein, streicht das. Sie ist der tapferste Mensch, den ich kenne.
    Kaum dass Elizabeths Zug pünktlich und mit einem Zischen auf Bahnsteig 40 stehen blieb, öffneten sich alle Türen wie auf Kommando gleichzeitig. Der Ansturm auf den Ausgang war nichts im Vergleich zu dem Wahnsinn an einem typischen Werktagmorgen, doch es waren immer noch genügend Menschen unterwegs, so dass ich sie nicht sogleich erblickte.
    Doch dann hörte ich sie oder vielmehr das vertraute Geräusch, das ihre Ankunft stets begleitet.
    Ich musste lächeln, und jetzt sah ich sie auch. Doch sie konnte mich nicht sehen.
    Elizabeth konnte überhaupt nichts sehen.
    Sie ist seit ihrem fünften Lebensjahr blind.
    »Hast du deinen Baseball-Handschuh schon wieder vergessen?« , fragte ich.
    Sie lächelte mich breit an, bevor sie ihre Sommersprossennase rümpfte. »Und du hast wieder zu viel Parfüm benutzt. Ich habe es schon gerochen, als der Zug einfuhr.«
    Ich nahm sie fest in meine Arme. »Ich glaube, Jeter wird heute einen Treffer landen«, füsterte ich. »Ich spüre es in meinen Knochen.«
    »Ich glaube, es werden zwei Treffer«, füsterte sie zurück. »Schauen wir es uns an.«
    Dann tat sie, was sie immer tat. Sie löste sich aus meinem
Griff, damit sie, geführt von ihrem langen, weißen Stock, allein gehen konnte.
    Tap, tap,

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