Rachedurst
hochstilisiert. Nicht, dass mich das überrascht hätte. Amerikaner lieben gute Mafiageschichten.
Doch erzählte David Sorren der Öffentlichkeit die richtige Geschichte? Wo lag die Wahrheit?
Praktisch auf jedem Sender wurde Pinero in Handschellen gezeigt, gleich darauf Sorren, wie er von den Medien auf der Treppe vor seinem Gebäude empfangen wurde. Und wenn man Sorren sah und hörte, bestand kein Zweifel daran: Das Gebäude des New Yorker Bezirksstaatsanwalts gehörte ihm.
Im Moment jedenfalls.
Während er in die Kameras sprach, ohne dass seine Frisur auch nur durch ein aus der Reihe tanzendes Haar auf seinem Kopf durcheinandergeraten wäre, konnte ich mir leicht vorstellen, wie er in ein anderes Gebäude einzog. Ins Rathaus, zum Beispiel. Wenn es einzig auf den richtigen Zeitpunkt ankam, wäre ihm mit Pineros Verhaftung der perfekte Aufmacher geglückt, um seine Kandidatur zur Bürgermeisterwahl zu verkünden.
Also komm mir nicht in die Quere, wurde mir ziemlich deutlich mitgeteilt.
Wie aus heiterem Himmel klingelte es an meiner Tür. Wer auch immer es war, hatte es unbemerkt am Nachtportier vorbeigeschafft.
Allerdings war das ja nicht schwer. Neugeborene schlafen weniger als der Kerl an der Eingangstür.
Ungläubig spähte ich durch den Spion. Sie war es tatsächlich.
Brenda.
Ihr auf der Wohltätigkeitsveranstaltung zu begegnen war eine Sache gewesen, doch jetzt stand sie hier vor meiner Wohnung.
»Wow, zweimal in einer Woche«, sagte ich, als ich die Tür öffnete. »Wie in alten Zeiten.«
»Zweimal zu viel«, schoss Brenda zurück und schlängelte sich durch den engen Flur an mir vorbei. Dann drehte sie sich zu mir um und stemmte die Hände in die Hüften. »Was glaubst du wohl, was du hier treibst?«
»Bitte? Könntest du mir einen kleinen Tipp geben?«
»Jetzt stell dich nicht dumm, Nick«, antwortete sie. »Ich hasse es, wenn du dich dumm stellst. Das war auch immer eins der Probleme zwischen uns.«
Gut, gut. »Hat Sorren dich hierzu angestiftet?«, fragte ich. »Macht er sich etwa Sorgen um mich?«
»David weiß gar nicht, dass ich hier bin. Er würde mich nie bitten, in seinem Namen etwas zu unternehmen. Nie.«
Wie immer konnte ich nur schwer sagen, ob Brenda log oder die Wahrheit erzählte.
»Aber er hat dir erzählt, dass ich heute bei ihm war?«, fragte ich weiter.
»Ja«, antwortete sie. »David und ich sind ein Paar, Nick. Paare reden über manche Dinge miteinander …«
»Erinnere mich nicht daran«, unterbrach ich sie.
Sie wusste genau, was ich damit meinte – den vorgeschobenen Grund für unsere Trennung.
Eine lange, schmerzvolle Geschichte in Kürze erzählt: Ich
hatte ein wichtiges Interview mit Bill Gates geführt, bei dem er zum ersten Mal seinen geplanten Rückzug von Microsoft bekanntgab. Am Abend erzählte ich Brenda davon. Ich meine, jeder weiß, dass Bettgefüster niemals das Schlafzimmer verlassen darf. Besonders dann nicht, wenn man sich das gegenseitig versprochen hat.
Offenbar hatte Brenda dieses Versprechen mit gekreuzten Fingern gegeben. Gleich am nächsten Tag ging sie damit an die Öffentlichkeit. »Zuverlässigen Quellen zufolge«, begann sie ihre Geschichte. Bei ihrem Fernsehsender landete sie damit einen Knüller, auf den sie stolz sein konnte.
Mir hatte sie einen Dolch mitten durchs Herz gestoßen.
Von dem Moment an wusste ich, dass ich Brenda nie wieder vertrauen konnte. Nicht dass ich je die Genugtuung gehabt hätte, ihr das zu sagen. Keine Chance. Zehn Minuten nach ihrer Sendung erhielt ich einen Abschiedsbrief per E-Mail von ihr. Genau, sie machte mit mir Schluss. Mit einer E-Mail! Ihr Grund? Ich sei nicht so energiegeladen wie sie, und sie brauche jemanden, der das sei. Damit war die Sache erledigt.
»Tust du das wegen dem, was zwischen uns passiert ist?«, fragte sie mich jetzt. »Wenn du nämlich versuchst, dich zu revanchieren, ist das David gegenüber nicht fair.«
»Was genau tue ich denn deiner Meinung nach?« Irgendwie musste ich das langsam mal herausfinden.
»Ich kenne dich, Nick. Ich weiß, wie du mit deiner Intuition umgehst. Du bist kompromisslos, selbst wenn du völlig verkehrtliegst.«
»Ich denke, was ich mit deinem neuen Freund besprochen habe, war etwas mehr als Intuition. Ich könnte genauso gut recht haben. Es gibt Beweise. Und sie verhärten sich.«
»Aber was ist, wenn du verkehrtliegst? Hast du auch nur
eine Sekunde daran gedacht, welche Auswirkungen es auf David und seine politische Karriere hat, wenn du wegen Pinero
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