Rachedurst
dass du ein wenig Zeit mit mir verbracht hast.«
»Aber immer, Julie.«
»Das mag ich an dir am meisten.« Julie lächelte, und ihre Augen glänzten feucht. »Komm mal zum Ãbernachten raus. Dann zeig ich dir, wie ⦠beschissen meine Familie ist.«
Sheridan hatte Julie noch nie so reden hören, und es erschreckte sie. Auch Julie selbst schien erschrocken und hielt sich die Hand vor den Mund.
6. KAPITEL
Der Anblick eines Zauns mitten in der tiefsten Pampa verwirrte Keeley. Mann , dachte er. Das hier ist nicht nur eine andere Welt â das ist ein verdammter anderer Planet .
Der Zaun war da, als er aufwachte. Sein Wagen stand am Highway 487 Richtung Norden. Wie schlafende Reptilien ragten die Shirley Mountains am Horizont auf, und davor zog sich eine noch immer verschneite Mondlandschaft hin. Er hatte das Gefühl, allein auf dem Dach der Welt zu sein. Der Zaun war insofern einzigartig, als er nur ein Stück Zaun war, das parallel zur StraÃe verlief, aber weder am einen, noch am anderen Ende mit irgendetwas verbunden war⦠Einfach nur ein hoher Zaun aus frisch geschlagenem Holz. Die in der Morgensonne bronzefarben schimmernden Bretter sahen aus, als würden sie von Scheinwerfern beleuchtet.
Weil das hier tatsächlich ein anderer Planet war, auf dem es keinen Strom gab. Oder Bäume. Oder Hochspannungsleitungen. Oder irgendwas, das auf die Existenz oder die Aktivität von Menschen hindeutete â abgesehen von dem Stück Zaun, der offenbar errichtet worden war, um Männer wie Keeley wahnsinnig zu machen: ein Stonehenge à la Wyoming, als sollte er denken, er halluzinierte oder wäre schwer verkatert.
Stimmt beides , dachte er. Aber diesen Zaun musste er sich näher ansehen, sich vergewissern, dass es ihn wirklich gab, und herausfinden, warum er sich dort befand.
***
Neben J. W. Keeley lag ein Gewehr mit Zielfernrohr und groÃem, bananenförmigem Magazin auf der Sitzbank des alten Ford Pick-up: ein Ruger Mini-14, ein Karabiner mit .223er-Munition. Am Vorabend hatte ihm ein Koyotenjäger in einer Bar in Medicine Bow erzählt, dieses Gewehr werde vor allem zum Abschuss von Kojoten und anderem Ungeziefer verwendet, weil die Patronen sich gut und flach verschieÃen lassen. Das 30-Schuss-Magazin stamme noch aus einer Zeit, als der Besitz von Sturmgewehren nicht verboten gewesen sei und einige Abgeordnete in Washington noch Rückgrat besessen hätten. Das sei damals gewesen, bevor alle begonnen hätten, kurze, rüschenbesetzte Röcke zu tragen, Caffè Latte zu trinken und Gesetze zu verabschieden, die sich gegen Waffenbesitzer richteten. Der Jäger hatte erzählt, er habe den Tag drauÃen im Salbei zwischen Medicine Bow und dem Rock River verbracht, mit einer Pfeife die Schreie eines verwundeten Kaninchens nachgeahmt, vier Kojoten geschossen und einige weitere verfehlt. Die toten Tiere lägen auf der Ladefläche seines Pick-ups. Das Fell guter Exemplare sei 90 Dollar wert, und dazu gebe es noch fünfzehn Dollar Prämie, weil der Kojote als Raubtier gelte.
Der Jäger sagte Keeley, sein Name sei Hoot.
Keeley sagte Hoot, sein Name sei Bill Monroe, und hoffte, Hoot hatte nie von dem Bluegrass-Gitarristen gehört.
Er hatte die Tiere »Ko joo ten« genannt â eine andere Aussprache als die mit langer, betonter Mittelsilbe war ihm nicht bekannt â und Hoot hatte gelacht und freundlich gefragt, wo er denn herkomme, in den Nördlichen Rockies spreche man das Wort flach und kurz aus. »Kojote, Kojote, Kojote«, hatte Keeley daraufhin monoton vor sich hin gemurmelt, als er dem Mann nach drauÃen gefolgt war, um sich die toten Tiere anzusehen.
Kojotenjäger Hoot war ein Einheimischer mit blutiger Arbeitsjacke und gepflegtem Spitzbart. Er redete gern und erzählte Keeley auf dem Weg von der Bar des Virginia Hotels zu seinem Pick-up, er sei auf einer Ranch bei Elmo aufgewachsen, habe an der Universität von Wyoming Sozialpädagogik studiert und sei danach in die Heimat zurückgekehrt, um in den Kohlengruben zu schuften, wobei man sehr viel besser verdiene als mit Sozialarbeit; er habe ein kleines Haus gekauft und ein Mädchen, Lisa, geheiratet, dann aber seinen Job in der Zeche verloren und sich scheiden lassen; nun lenke er einen Schulbus und locke in der Freizeit Kojoten an, um sie abzuknallen.
Auf Hoots Frage hin meinte Keeley, er sei nach Norden unterwegs, um in Kasper Arbeit zu suchen, weil es
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