Rachedurst
Gefühl, seine Konzentration gelte auch dann dem Telefon, wenn sie mit ihm redete. Er erwartete einen Anruf.
»Erst«, fuhr sie fort, »hab ich nicht verstanden, warum sie die Dinge so und nicht anders abgeheftet hat. Es schien sich um zufällige, von Gummibändern zusammengehaltene Ansammlungen von Papier zu handeln. Manche Unterlagen waren schon viele Jahre alt, manche erst zwei Monate, stammten also aus der Zeit direkt vor ⦠ihrem Verschwinden. Doch alle steckten im selben Bündel. Offenkundig machte sie weder monatliche Gewinn- und Verlustrechnungen noch Aufzeichnungen über den Zahlungsfluss, um den Ãberblick zu behalten. Aber wir wissen beide, dass Opal nicht der Mensch war, der Unterlagen planlos führt. Also dachte ich mir, dass all dem eine Systematik zugrunde liegen muss. Und die hab ich gestern Abend kapiert.« Sie weitete die Augen, um Arlens Interesse zu gewinnen. »Opal hat ihre Unterlagen nach Jahreszeiten und bestimmten Rubriken sortiert. Das ergibt durchaus Sinn. Sie bauen zum Beispiel Futtergras an und verkaufen es später, richtig?«
Arlen nickte.
»Nun, Opal verfuhr so, dass sie einen Ordner mit dem Beleg über die erste Heusaat anlegte, die sie für eine bestimmte Wiese kaufte. Alle weiteren Unterlagen zu dieser Wiese hat sie dort abgeheftet, selbst die Rechnung für einen neuen Traktor, sofern er dazu bestimmt war, das Gras zu mähen und in Ballen zu pressen. Wenn ein Arbeiter vom Heuwagen fiel und sich den Arm brach, hat sie die Unterlagen der Unfallversicherung in diesem Heuordner abgeheftet.«
»Wir haben in die Arbeiter-Unfallversicherung eingezahlt?« Arlen staunte, dass seine Mutter so progressiv gewesen war.
»Natürlich nicht«, erwiderte Marybeth kopfschüttelnd. »Opal hat sich gegen solche Ansprüche vehement gewehrt. Ich will damit nur zeigen, dass man nur herausfinden kann, worum es sich hier handelt, wenn man versteht, wie Opal die Ãbersicht behielt. Es war ihr eigenes System, und ich habe noch nicht alles rausgefunden, aber das schaff ich schon noch. Einige der Bündel mit Rechnungen kann ich noch keinem Vorhaben und keiner Rubrik zuordnen.«
»Tolle Arbeit«, sagte Arlen. »Ich habe diese Sachen einen Monat lang studiert und bin absolut nicht schlau daraus geworden. Mein Anwalt hat sich die Unterlagen zehn Stunden angesehen, mir hundert Dollar pro Stunde berechnet und sie mir mit der Bemerkung zurückgegeben, dahinter stecke keine Logik. Aber Sie haben das System durchschaut. Sie sind richtig gut!«
Bin ich, dachte Marybeth.
»Und?«, fragte Arlen.
Marybeth hob die Brauen und fragte sich, worauf er hinauswollte.
»Verdienen wir Geld?«
»Sie verdienen jede Menge Geld.«
»Haben Sie etwas gefunden, das mir bei meinem Kampf mit Hank hilft?«
»Ehrlich gesagt: Sein Teil der Ranch dürfte profitabler sein als Ihrer. Dort wird ökonomischer gearbeitet.«
»Hank ist also skrupelloser«, meinte Arlen geringschätzig.
»Sofern das möglich ist«, gab Marybeth mit Blick auf die Ansprüche der Arbeiter-Unfallversicherung zurück.
Als Arlens Handy klingelte, zuckte er zusammen und griff eilig danach. Marybeth lehnte sich zurück und beobachtete ihn. Er zerrte das Telefon aus der Brusttasche und starrte es kurz an. Offenbar war er mit dem Gerät nicht vertraut und wusste nicht recht, wie es funktioniert.
»Neuer Apparat«, murmelte er. »Die Knöpfe sind verdammt klein ⦠«
Doch dann drückte er einen, hielt das Handy ans Ohr und sagte vorsichtig: »Ja? Hier Arlen?«
Von ihrem Platz aus vernahm Marybeth eine laute, tiefe Stimme. Beim Zuhören spähte Arlen mit gespannter Miene in ihrem Büro umher.
»Sie sind jetzt hier?« Er sah Marybeth an, als sollte sie angesichts der Identität des Anrufers so erstaunt sein wie er. »Sie stehen drauÃen auf der StraÃe?«
Arlen beendete das Gespräch, steckte das Handy wieder in die Tasche und erhob sich rasch. Er war ganz blass geworden.
»Meade Davis wartet drauÃen.« Das war der Anwalt, mit dem Opal angeblich ein neues Testament aufgesetzt hatte. »Er ist heute aus Arizona zurückgekommen und sagt, alle, denen er begegnet, erzählen, wir würden nach ihm suchen. Jemand sei in seiner Abwesenheit in sein Büro eingebrochen und habe eine Menge Unterlagen gestohlen. Aber er habe Neuigkeiten für mich.« Arlen war offensichtlich aufgeregt.
»Dann
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