Rachedurst
Vergangenheit, unsere lebende, atmende Brücke vom einundzwanzigsten Jahrhundert zu den Pionieren, die dieses Land gegründet, dafür gekämpft und es zu dem gemacht haben, was es heute ist. Und wir feiern sie jetzt mit der Eröffnung dieses Museums ⦠«
Während Arlen redete, hielt Joe nach Wyatt Ausschau und entdeckte den jüngsten Bruder schlieÃlich allein hinter dem Podium. Arlens Worte hatten ihn offensichtlich berührt, denn sein Gesicht war tränennass.
***
Als nächsten Redner begrüÃte der Bürgermeister Hank Scarlett.
Hank saà vornübergebeugt am anderen Ende des Podiums. Er hielt den Kopf so tief, dass nur der Cowboyhut zu sehen war, und studierte eifrig seine Notizen, die ihm in den Händen zitterten. Ganz schön nervös, dachte Joe.
»Das wäre jetzt eine gute Gelegenheit, um zu ihm zu fahren und sich in aller Ruhe die gewilderten Geweihe anzusehen«, flüsterte er Marybeth zu.
»Aber dazu brauchst du einen Durchsuchungsbeschluss.«
***
Hank schlurfte ans Rednerpult. Etwas Düsteres, Brummelndes umgab ihn, das Joe an James Dean in »Giganten« denken lieÃ. Hank folgte auf Arlen mit einer ungeschliffenen, dabei aber ehrlicheren und berührenderen Botschaft: »Ich bin kein groÃer Redner, aber wenn Mutter dich bittet, ein paar Worte zu sprechen, sagst du Ja ⦠«
Er las seinen Text von Blättern ab, die zerknittert und verschmutzt in seinen Händen steckten. Vermutlich hatte er sie seit Tagen immer wieder durchgelesen.
»Mutter lebt und atmet die Ranch und das Tal, als hätte sie nicht Blut in den Adern, sondern den Twelve Sleep River ⦠«
Er sprach kaum fünf Minuten lang, doch sein blecherner, stockender Vortrag war fesselnder als Arlens Rede. Während der gemeinsamen Anwesenheit auf dem Podest nahmen die Brüder nicht mal mit einem Nicken voneinander Notiz.
Als er fertig war, faltete Hank die Blätter zusammen, schob sie in die GesäÃtasche seiner Jeans und verlieà die Bühne. Während Arlen sich in die Menge gemischt hatte, um Hände zu schütteln, ging Hank über den Parkplatz zur StraÃe. Der Pick-up mit Bill Monroe am Steuer tauchte auf und holte ihn ab.
Joe schaute sich nach McLanahan um und sah ihn auf dem Parkplatz aufgebracht mit Robey Hersig debattieren.
***
Nach den Reden schlenderte die Menge über das Gelände. Einzelne Gruppen unternahmen Führungen durch den Scarlett-Flügel, während andere Besucher die Knabbereien und Getränke ansteuerten, die am Museumseingang lockten. Einige gingen zu ihren Autos.
Mit rotem Kopf und zusammengekniffenen Augen kam Robey auf Joe zu und tippte ihm auf die Brust. »Was ziehen Sie da ab? Wollen Sie sämtliche Brücken hinter sich niederreiÃen?«
»Bleiben Sie in der Nähe«, erwiderte Joe lächelnd. »Es sind noch ein paar übrig.«
Robey machte augenblicklich kehrt und stapfte in Richtung Parkplatz davon.
22. KAPITEL
»Joe, ich weià nicht, ob du das Richtige tust«, erklärte Marybeth. »So kenn ich dich gar nicht. Du scheinst allmählich die Beherrschung zu verlieren.«
»Da hast du vermutlich recht. Aber es ist Zeit, die Puppen tanzen zu lassen.«
Sie hatte ihn von der Menge weggelockt, und sie standen etwas abseits neben dem Anbau. Joe spürte seine Stiefelabsätze in die frische Grasnarbe sinken. In Marybeths Blick lag echte Sorge.
»Joe, ich sehe diese Menschen jeden Tag. Für einige von ihnen arbeite ich. Wir müssen hier leben .«
Er tippte seinen Hut in den Nacken und rieb sich die Stirn. »Ich stimme Randy Pope nur ungern zu, doch er könnte richtig damit liegen, dass man allmählich zum Einheimischen wird, wenn man zu lange an einem Ort bleibt.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Denk mal darüber nach, was du eben gesagt hast. Du fängst an, meinen Beruf und meine Pflichten dagegen aufzuwägen, wen wir möglicherweise verärgern. Wenn das ein Problem ist, Marybeth, dann haben wir die Dauer unseres Aufenthalts hier womöglich überstrapaziert.«
Sie bekam groÃe Augen und verzog das Gesicht. Dann stemmte sie die Hände in die Hüften und beugte sich vor. Joe wich zurück und dachte: Oha.
»Hör zu, Joe Pickett. Untersteh dich, auch nur einen Moment lang zu denken, ich erwarte, dass du deine Grundsätze oder deinen Eid verrätst, damit wir hier besser klarkommen. Das habe ich nie
Weitere Kostenlose Bücher