Racheengel
dieser Vorteil ging verloren, wenn er mit seinen großen Rädern um die Ecken kurven musste. Lennon riskierte es, das Gaspedal möglichst weit durchzutreten, und erklomm den flachen Hang. Der Nissan hielt sein Tempo und holte auf.
Als Lennon sich der Ecke zur Deramore Avenue näherte, wurde er langsamer und schlug das Lenkrad ein. Er ließ zu, dass der Audi ein wenig wegrutschte, kam dann aber wieder auf Spur und beschleunigte. Mühsam hielt er sich auf dem schmalen Fahrstreifen in der Mitte, ohne gegen die zu beiden Seiten geparkten Autos zu prallen. Im Rückspiegel sah er, dass der Nissan ihm folgte und in der Kurve ins Schleudern geriet. Er stieß gegen einen Wagen, wurde quer über die Straße geschleudert und streifte noch einen zweiten, bevor er wieder in Fahrtrichtung kam. Alarmanlagen heulten in der Dunkelheit auf.
Kaum mehr als ein Meter trennte die eingedrückte Frontpartie des Nissan noch von der hinteren Stoßstange des Audi. Lennon beschleunigte weiter und kurbelte wie wild hin und her, während die Hinterräder auf dem Eis tanzten. Weiter vorne sah er im verschwommenen Grau die Einbiegung zum Ailesbury Drive. Dahinter, das wusste er, ging es scharf rechts in die Deramore Gardens. Praktisch unmöglich, aber er musste es versuchen.
Lennon sprach ein stummes Stoßgebet, dass niemand sonst noch dumm genug war, sich an so einem Abend auf der Straße herumzutreiben. Er schaltete in den dritten und dann den zweiten Gang hinunter und merkte, wie das Chassis durch die abrupte Motorbremse ins Schlingern kam. Der Wagen machte einen Satz, als die Räder die verlorene Bodenhaftung wiedererlangten.
Lennon ließ den Audi mit seiner eigenen Fliehkraft durch die enge Kurve gleiten und steuerte ihn, so gut es ging. Doch er bekam die Schnauze nicht weit genug herum, im Kegel der Scheinwerfer ragte plötzlich die Mauer auf der gegenüberliegenden Seite derschmalen Straße auf. Lennon atmete scharf ein und wollte schon aufschreien, aber stattdessen erfolgte der Aufprall hinten, denn der Nissan stieß gegen die Stoßstange des Audi und drückte ihn von der Ziegelmauer weg und scharf rechts genau in die Deramore Gardens.
Wieder unterdrückte Lennon den Impuls, das Lenkrad herumzureißen und die Richtung zu korrigieren. Stattdessen ließ er den Wagen rollen, bis seine Schnauze dorthin zeigte, wo er sie haben wollte. Dann gab er ein wenig mehr Gas und merkte, wie der Fond sich senkte. Er atmete keuchend aus, meisterte die Kurve und schaute in den Rückspiegel. Der Nissan schlingerte hin und her, und obwohl der Fahrer sich auf dem Eis alle Mühe gab, rutschte er in Lennons Kofferraum. Darauf schlitterte er erst gegen einen, dann gegen den anderen Bordstein und hob trudelnd ab. Seine linke Vorderpartie kollidierte mit einem geparkten Toyota Celica, das Vorderrad drückte auf die flache Motorhaube des Sportwagens. Dann kippte der Nissan auf die Seite, die Räder auf der Beifahrerseite drehten sich in der Luft.
Lennon sah, wie der Abstand zwischen seinem Audi und dem Verfolger größer wurde. Der Nissan rollte noch ein paar Meter weiter, die beiden Räder, die noch Bodenhaftung hatten, schlitterten in einer unkontrollierbaren Kurve dahin. Durch die Wucht seines Eigengewichts rutschte der Wagen auf dem Eis weiter und hob nun auf der Fahrerseite ab. Das abgedunkelte Fenster barst in tausend Splitter, als er auf die Seite fiel. Kreischend rutschte der Wagen weiter, bis ein geparkter Transit ihn zum Stehen brachte.
Lennon bremste ab und sah in den Rückspiegel, aber niemand stieg aus. Er beschloss, keine Zeit zu verlieren, und bog ab, um einen sicheren Ort zu finden.
79
Edwin Paynter spürte, dass seine Zeit gekommen war. Wenn er die Augen schloss, vernahm er, wie flüsternd der Engel des Herrn zu ihm sprach. Jeder andere hätte nur leise Schritte auf dem Fußboden des Krankenhauses oder das Wasser in den Leitungen oder das Aufund Zugleiten der Türen gehört. Aber für Paynter waren es Gebote, heilige Worte, göttliches Geheiß.
Genau wie einst die Hand des Apostels Petrus würde der Engel des Herrn nun, zweitausend Jahre später, auch die seine führen.
Fast vierundzwanzig Stunden hatten sie ihn dabehalten. Zur Beobachtung, hatten die Ärzte gesagt, um sicherzugehen, dass die Gehirnerschütterung keine Komplikationen auslösen werde. Die ganze Zeit über hatte Paynter still dagelegen, zuerst bei der Triage, dann auf dem Flur, dann in der Orthopädie, dann in der Notaufnahme und schließlich auf Station, durch einen dünnen
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