Racheengel
braves Mädchen.
Er strich ihr das strohblonde Haar aus dem Gesicht. Sein Finger glitt zwischen ihre trockenen Lippen und schob sie zurück.
Gute Zähne.
Er lächelte und ging rückwärts bis zur Tür. Vier oder fünf Stunden würde sie bestimmt weggetreten sein. Und bis dahin hatte er noch eine Menge zu erledigen.
Das Erste war, die Kreatur oben zu füttern.
Er zog die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss.
20
Lennon holte Connolly vor seinem Haus in der Ulsterville Avenue ab. Nur gemietet, ließ Connolly ihn wissen. Der Immobiliencrash in der Stadt hatte zwar die Häuserpreise rund um die Lisburn Road purzeln lassen, aber nicht so tief, dass ein Streifenpolizist sich eines leisten konnte, selbst wenn man ihm eine Hypothek gewährte. Und dass er zwei sechs Monate alte Babys habe, sei seinen Finanzen auch nicht gerade zuträglich, beklagte sich Connolly weiter, während Lennon das Mietshaus am Rande von Bangor ansteuerte. Der Verkehr kroch gleichbleibend zäh voran, und die Schneedecke wurde immer höher.
Connolly gab sich alle Mühe, sein Gähnen zu verbergen. Er hatte die Uniform abgelegt und sich eine legere Jacke und Jeans angezogen. Im Schoß hielt er seinen Mantel.
»Ich habe auch nicht viel gepennt«, sagte Lennon.
»Ich höchstens eine Stunde«, gab Connolly zurück. »Meine Frau wollte, dass ich ihr heute bei diesem und jenem helfe, auf die Zwillinge aufpasse und so weiter. Sie hat dieses Jahr alle zu Weihnachten eingeladen. Ist das erste Mal überhaupt, dass sie das macht, deshalb kam es nicht besonders gut an, als ich ihr sagte, ich müsste zum Dienst.«
»Kann ich mit vorstellen«, sagte Lennon. »Aber dafür sind Sie heute Abend zu Hause. Da kann sie sich doch nicht beschweren.«
»Vielleicht doch«, meinte Connolly.
Lennon fuhr von der Belfast Road ab und hielt auf die ruhige Sackgasse zu, in der das dreistöckige Mietshaus stand.
Es war ein unscheinbares Gebäude. Sauber, anonym, eintönig. Der perfekte Ort, um Prostituierte anschaffen zu lassen. Von der Innenstadt gut zu erreichen, für jeden einsamen Mann in nur fünfzehn Autominuten, und die Nachbarn achteten vermutlich nicht weiter auf das Kommen und Gehen. Lennon hielt an und warf einen prüfenden Blick auf die anderen geparkten Fahrzeuge. Mindestens die Hälfte waren BMWs oder Audis mit Linkssteuerung und Nummernschildern vom Kontinent: aus Polen, Lettland, Litauen. Gastarbeiter wohnten hier, viele wahrscheinlich mit nur kurzer Aufenthaltsgenehmigung.
Ja, hierher konnte ein notgeiler Geschäftsmann auf jeden Fall kommen, ohne befürchten zu müssen, dass er von irgendwelchen Nachbarn erkannt wurde. Und Lennon wäre wohler gewesen, wenn er das nicht so klar durchschaut hätte.
Über sechs Monate war es jetzt her, dass er selbst zum letzten Mal ein solches Etablissement aufgesucht hatte. Und davor weitere zwei Monate. Insgesamt weniger als ein Dutzend Mal, seit Ellen sich in seiner Obhut befand. Davor hatte er sich immer von seiner Schuld reinwaschen können, nachdem er bei irgendeiner Frau mit leeren Augen gewesen war und hundert Pfund auf ihrem Nachttisch gelassen hatte. Aber seit Ellen in seinem Leben ihren Platz reklamiert hatte, war es ihm nicht mehr gelungen, dieses kribbelnde Gefühl von seiner Haut abzuschrubben. Weniger, weil die Mädchen etwa unsauber gewesen wären und er befürchtete, sich irgendeinen dreckigen Virus eingefangen zu haben. Vielmehr kam es ihm vor, als würde die Schande ihm aus sämtlichen Poren triefen und an allem haften, was er anfasste.
Also hatte er beschlossen, damit aufzuhören. Wenn es allerdings so leicht gewesen wäre, einfach nur eine moralische undlogische Entscheidung zu treffen, dann hätte er wohl gar nicht erst damit angefangen, soviel war ihm selbst klar. Nachdem Ellen bei ihm eingezogen war, hatte ihn sechs Wochen lang auch nicht die leiseste Versuchung gepeinigt. Aber dann hatte er sie eines Abends bei Lucy und Susan übernachten lassen und sich dabei ertappt, wie er die Autoschlüssel vom Tisch nahm, mit dem Lift nach unten fuhr, in den Wagen stieg und zu einer Bude in Glengormley fuhr, die er kannte.
Erst als er zwei Stunden später wieder nach Hause kam und seine anständigere Hälfte die Tat in Augenschein nahm, ließ er sein Gewissen sprechen. Als er am nächsten Morgen zu Susans Wohnung hinaufging, um sie abzuholen, wollte Ellen seine Hand halten. Er konnte nicht, vor lauter Angst, dass sich die Sünde von seinen Fingern auf ihre übertragen würde. Einen ganzen Tag lang
Weitere Kostenlose Bücher