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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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angehalten, immer tapfer und stark zu sein, niemals schwach. Denn es waren immer die Schwachen, die litten.
    »Aber so ist es dann nicht gekommen, oder?«, fragte Billy.
    »Nein«, sagte Galya. Sie erzählte ihm von Aleksander, aber nichts davon, dass sie für kurze Zeit töricht genug gewesen war, zu glauben, dass sie diesen gutaussehenden jungen Mann liebte. Sie unterdrückte ein Gähnen und nahm noch einen großen Schluck Kaffee.
    »Als ich dann nach Irland komme, wartet am Flughafen ein Mann in einem … wie sagt man? Wie Ihr Lieferwagen, aber mit Sitzen?«
    »Ein Kleinbus«, sagte er.
    »Ja, ein Kleinbus. Und er hat andere Mädchen eingesammelt und auch ein paar Männer. Er ist mit uns herumgefahren, eine Stunde. Ich frage ihn, ob wir nach Dublin fahren, aber er sagt: Sei still. Wir kamen an einen Ort mit langen Gebäuden ringsherum, aus denen Dampf stieg und ein Geruch nach Tieren, aber es gab keine Tiere. Er ging mit uns zu einem Gebäude und brachte uns hinein. Es gab Betten wie in einem Gefängnis oder bei der Armee. Er sagte, hier schlafen wir. Morgen früh er kommt wieder.«
    Der Gedanke an Schlaf löste bei Galya ein weiteres Gähnen aus, und diesmal konnte sie es nicht unterdrücken.
    »Ein paar von den anderen sagen, sie wollen weg da, aber er macht die Tür zu und schließt ab. Es gab keine Fenster und nur in einer Ecke eine Toilette und ein Waschbecken. Die Mädchen haben geweint, und ein paar von den Männern auch. Ein paar von den Mädchen erzählten, sie wären hergekommen, um als Putzfrau zu arbeiten, ein paar andere sollten in Bars tanzen. Die Männer erzählten, sie sind hergekommen, um Häuser und Straßen zu bauen. Aber als der Mann wiederkommt, sagt er, wir müssen hier arbeiten, in der ganzen Hitze und dem Gestank, und Pilze pflücken. Wir sagen, wir wollen diese Arbeit nicht machen, aber dieser Mann, der sagt, wir schulden ihm Geld. Er hat unsere Pässe. Wir können erst weg, wenn wir ihm sein Geld bezahlt haben. Deshalb wir müssen arbeiten. Dann haben wir …«
    Sie wusste nicht, wie lange sie nur auf die Tischplatte gestarrt und versucht hatte, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Bist du müde?«, fragte er.
    »Ja«, sagte sie.
    »Ist ja auch kein Wunder.«
    Er lächelte wieder, und Galya roch die saure Milch.
    »Du hast so viel durchgemacht«, sagte er. »Möchtest du schlafen?«
    Galya nickte.
    »Oben gibt es ein Zimmer«, sagte er. »Es macht nicht viel her, aber da kannst du eine Weile schlafen. Ich muss sowieso noch ein paar Anrufe machen. Wir müssen uns um eine Menge kümmern, wenn wir dich nach Hause schaffen wollen.«
    »Wen rufen Sie an?«, fragte Galya.
    »Leute«, antwortete er. »Agenturen. Die haben ständig mit Mädchen wie dir zu tun, Mädchen, die ins Land geschleust werden. Die kümmern sich um alles, besorgen dir einen neuen Pass, organisierendie Flüge, all diese Sachen. Leg dich doch ein bisschen hin. Wenn du wieder wach wirst, ist schon alles geregelt, und ich kann dich zu ihnen bringen.«
    »In Ordnung«, sagte Galya.
    Ob sie in ihrem Herzen Hoffnung empfand oder eher Angst, das wusste sie selbst nicht genau. Sie konzentrierte sich nur noch darauf, den Kopf auf den Schultern und die Augen offen zu halten. Sie schluckte. Etwas Mehliges, Bitteres schnürte ihr die Kehle zu. Zwei kräftige Hände umklammerten sie, und die Welt um sie herum versank.

19
    Der Mann, der sich Billy Crawford nannte, nahm ihr nur das Handy und die Schuhe ab, ein Paar ausgetretener Turnschuhe, die ihr viel zu groß waren. Er zuckte zusammen, als er den Zustand ihrer Füße sah, alles voller Blasen und Schrammen. Ihre übrige Kleidung rührte er nicht an, obwohl sie über und über mit dem Blut eines Toten besudelt war. Zwar war es so für sie vielleicht weniger angenehm, aber er wollte den gebotenen Anstand wahren.
    Später, wenn sie erst einmal gerettet war, konnte er sie immer noch ansehen.
    Und berühren.
    Und schmecken.
    Aber erst dann. Jetzt zog er ihr vorerst nur eine Decke bis unters Kinn. Das Telefon würde er später verschwinden lassen.
    Als sie ihm erzählte, was sie getan hatte, hätte er sie beinahe am Straßenrand stehen lassen. Bestimmt würde die Polizei nach ihr suchen. Aber sie hatte schließlich sein Gesicht gesehen, seinen Transporter, seine Nummernschilder. Deshalb hatte er sie nicht zurücklassen können, ganz egal, wie gefährlich sie war.
    Und sie war so schön. Schön wie eine blasse Puppe.
    Jetzt war sie in Sicherheit. Friedlich und still, ganz wie ein

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