Racheengel
Buttermilch-Shandy«, sagte er. Er nahm das Glas hoch und hielt es ihr hin.
Ein ekliger süß-saurer Geruch stieg ihr in die Nase, und sie drehte den Kopf weg.
Er lachte. »Man muss dran gewöhnt sein.« Er nahm einen tiefen Schluck und stellte das Glas auf den Tisch zurück. Die weiße Flüssigkeit klebte in seinem Schnauzbart. »Kaffee?«, fragte er.
Galya nickte und zog die Decke fester um sich. Er trat zur Arbeitsfläche neben dem Spülbecken und schaltete den Wasserkocher ein. Das Glas löslichen Kaffees, das er aus dem Schrank holte, sah alt und kaum gebraucht aus.
»Ich weiß nicht, wie frisch er ist«, sagte er, als würde er ihre Gedanken lesen. Er schüttelte einen Löffel voll in einen Becher. »Wie trinkst du ihn?«
»Schwarz«, sagte sie.
Die Küche sah aus wie die von Mama zu Hause. Schränke mit alten Schiebetüren, auf dem Boden gesprungene Fliesen, in der Ecke ein altertümlicher Herd. Neben einer Waschmaschine summte der Kühlschrank. Die Tapete hatte ein verblichenes grünes Blumenmuster. In den Ecken hatte sie sich gelöst.
Galya sah ihm beim Hantieren zu. Er war ein kleiner Mann, nicht größer als sie, hatte aber Schultern wie ein Stier und einen feisten Nacken. Unter seinem Hemd wölbten und spannten sich die Muskeln. Er besaß hässliche Stummelfinger mit verdreckten Nägeln. Seine Schuhe waren von guter Qualität, aber stark abgelaufen.
Galya sah genauer hin.
Das waren gar keine Schuhe, sondern viel eher Arbeitsstiefel. Durch die alten Gardinen vor dem Fenster konnte sie auf den von hohen Mauern umgebenen Hof blicken, in dem sein Transporter stand. Unter einer mit einer dünnen Schneeschicht bedeckten Plane erkannte sie die Umrisse einer Mischmaschine. Um eine betonierte, viereckige Bodenplatte verteilt lagen Ziegelhaufen, Säcke mit Sand und Kies, Schaufeln, eine Hacke und andere Werkzeuge, die sie nicht erkannte.
Die Fahrt hierher konnte höchstens fünfzehn Minuten gedauert haben. Er hatte sie angewiesen, sich auf die Bank zu legen, damit sie nicht gesehen wurde. Sie hatte gehorcht, bis sie spürte, dass der Wagen langsamer wurde. Als sie sich aufsetzte, sah sie das Haus, auf das sie zufuhren. Das Nachbargebäude sah verlassen aus, und beide Häuser standen in der ruhigen Straße abseits von allen anderen, am Scheitelpunkt einer Kurve. Gegenüber lag ein mit Unkraut bewachsenes Stück Ödland.
Er fuhr den Transporter hinters Haus. Sie wartete auf dem Beifahrersitz, während er das Doppeltor in den kleinen Hinterhof aufschob. Hinter dem Haus schloss sich eine weitere Brache an, auf der Galya die flachen Umrisse einiger Fabrikgebäude erkennen konnte. Ein seltsamer, verlassener Ort, abgeschieden von der Welt, die ihn umgab. Und doch konnte Galya gar nicht weit weg das Getriebe der Stadt hören.
Als sie drinnen waren, brachte er sie eine Treppe hinauf, holte aus einem Schrank im Flur ein Handtuch und führte sie in ein Badezimmer.
Zehn Minuten später kam sie wieder heraus, frisch abgeschrubbt, aber immer noch in denselben blutbesudelten Kleidern, in denen sie gekommen war. Ein kurzer Schrei entfuhr ihr, als sie bemerkte, dass er immer noch wartend an derselben Stelle stand, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Er lächelte. Wie ein Aasgeier, der über einem sterbenden Tier hockt, dachte sie. Dann legte er ihr die Decke über die Schultern, und sie schalt sich dafür, dass sie so undankbar war.
Inzwischen war sie sich da nicht mehr so sicher.
»Sie sagten, dass Sie Priester sind«, sagte sie. Ihre Finger tasteten nach dem Kreuz, das er ihr gegeben hatte.
»Ein Pastor«, verbesserte er und goss kochendes Wasser über das Kaffeegranulat. »Ein Baptist. Pastor Billy Crawford.«
»Wo ist Ihre Kirche?«, fragte sie.
Er stellte ihr den Kaffeebecher hin und setzte sich an den Tisch. »Ich habe keine«, sagte er, die Stimme so sanft wie der Kuss eines Kindes. Er nahm noch einen Schluck von seinem Buttermilch-Shandy. »Vor fünf Jahren habe ich meine Ordination bekommen, aber nie eine Gemeindestelle angetreten. Ich wollte lieber unter den Menschen wirken. Leuten wie dir helfen.«
Galya hob die Tasse an die Lippen. Der Kaffee schmeckte bitter und muffig. Sie versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen. Jenseits des Fensters hatte der Schnee wieder eingesetzt, heftiger als zuvor, er legte sich auf die im Hof verstreuten Werkzeuge und Maschinen.
Der Mann folgte ihrem Blick. »Von irgendwas muss ich ja leben«, erklärte er. »Hier und da übernehme ich Arbeiten auf Baustellen. Ich habe
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