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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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Wahrscheinlich war es für sie noch zu früh. Dabei konnte sie von Glück sagen, dass sie überhaupt ein bisschen Schlaf gefunden hatte. Er selbst war seit gestern Morgen ohne Unterlass kreuz und quer in der Stadt unterwegs, und dann zu allem Überfluss auch noch dieser verdammte Schnee.
    Herkus nahm nur selten etwas von dem Stoff, den er bei Rasas Kontaktmann für seinen Boss besorgte, aber heute würde er sich vielleicht doch eine Prise genehmigen. Nur so viel, dass er einen Energieschub bekam und es bis über den Morgen schaffte.
    Er folgte Rasa die Treppe hinauf in die Wohnung. Es roch nach Zigaretten, vermischt mit dem Weihrauchduft eines Räucherstäbchens, das auf dem Couchtisch brannte.
    Auf den Möbeln und dem Boden lagen verstreut Kleidungsstücke und Modemagazine herum. In der Ecke stand eine mit irgendeinem Stoff behangene Ankleidepuppe.
    »Musstest du Darius das antun?«, fragte Rasa und setzte sich an das Tischchen am Fenster. Es war übersät mit Garnspulen, Scheren und Nadeln. Auf der Fensterbank stand ein Blumentopf, dessen Bewohner vor lauter Durst schon ganz braun geworden war. Sie griff nach einem Päckchen Zigaretten und einem Feuerzeug.
    »Ja, musste ich«, sagte Herkus. »Gib mir auch eine.«
    Rasa bekreuzigte sich, zog sich eine Zigarette heraus und reichte ihm das Päckchen. Herkus vermutete, dass zwischen ihr und Darius womöglich etwas gelaufen war. Es war ganz natürlich, dass der Tod des Hünen ihr leid tat, aber tief in ihrem Inneren war sie aus Stein. Sie würde bald darüber hinwegkommen.
    Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch und zog eine Zigarette aus dem Päckchen. Rasa zündete ihre an und hielt ihm dann die Flamme hin.
    »Was für ein Mist«, sagte sie in den Qualm hinein.
    Herkus grummelte etwas Zustimmendes. Er hatte Rasa schon am Telefon über den neuesten Stand informiert und keine Lust, weiter über die Sache zu reden. Trotzdem fing sie wieder davon an.
    »Dieser Idiot«, sagte sie. »Sam Mawhinney. Der ist doch an der ganzen Sache schuld. Ich bin froh, dass du ihn erledigt hast. Und sein Bruder ist auch nicht besser.«
    Herkus gab keine Antwort. Er zog an seiner Zigarette.
    »Dumme Jungs. Und dann dieses kleine Miststück. Schon beim ersten Anblick habe ich gewusst, dass die uns noch Ärger machen würde.«
    »Warum hast du dann ausgerechnet die für Belfast ausgesucht?«, fragte Herkus.
    »Weil sie gut aussah. Für ein Mädchen, das so aussieht, bezahlen die Männer ordentlich Geld. Sie kann ein richtig gutesPferdchen werden, wenn man sich Zeit nimmt und sie vernünftig anlernt. Aber diese zwei Brüder da, diese Vollidioten, wollten ja nicht warten und sie sofort ranlassen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen ihr ein paar Wochen Zeit geben, damit sie sich an die Sache gewöhnt, sie vielleicht auch ein bisschen aufputschen. Aber sie wollten ja nicht hören. Und jetzt schau dir an, was für eine Scheiße sie angerichtet haben.«
    Herkus schaute gedankenverloren aus dem Fenster dem herabrieselnden Schnee zu. Rasa hatte sich zum Wohnen ein nettes Fleckchen ausgesucht, gar nicht weit vom Park und allem, was die Botanic Avenue so zu bieten hatte. Nur wenige Studenten konnten es sich leisten, eine Wohnung in dieser Straße zu mieten. Im Vergleich zum hektischen Getriebe der Innenstadt war die friedliche Atmosphäre da draußen eine andere Welt.
    »Wann hast du das Mädchen das letzte Mal gesehen?«, fragte er.
    »Gestern Nachmittag«, antwortete Rasa. »Ich musste sie mir mal vorknöpfen.«
    »Warum?«
    »Weil sie einen Freier hat abziehen lassen, ohne ihm was zu bieten. Und dann hatte sie noch die Frechheit zu behaupten, er hätte nur reden wollen.«
    Herkus schaute weiter auf die Straße hinab. »Reden?«
    »So hat sie es jedenfalls erzählt. Aber ich kenne die Männer. Männer wollen nicht reden. Männer wollen nur …«
    »Wer war er?«
    »Seinen Namen weiß ich nicht mehr«, sagte Rasa. »Aber gesehen habe ich ihn schon mal. Ein kleiner, untersetzter Typ.«
    »Dick?«
    Rasa schüttelte den Kopf. »Dick nicht. Stämmig, breitschultrig, so wie mein Großvater. Ein Fass auf Beinen. Er hat ein Mondgesicht und einen Bart, das schwarze Haar ist zurückgekämmt. Er hat ihr eine Kette gegeben.«
    Herkus legte das Kinn in die Hände, ließ seinen Blick ins Leere gleiten und seinen Kopf den losen Faden aufnehmen, den er da in Rasas Worten ausgemacht hatte.
    Nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, fragte sie: »Was ist los?«
    Er wandte ihr wieder seine Aufmerksamkeit zu. »Was für

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