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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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hatte sie ihn dann mit Schweigen gestraft.
    Trotzdem zog Lennon daraus keine Lehre, und nur zwei Wochen später unternahm er eine weitere spätabendliche Fahrt in eine zwielichtige Ecke der Stadt. Und dann noch einmal ein paar Wochen später. Jedes Mal gelobte er sich und dem Teil seines Herzens, der Ellen gehörte, dass er das nie wieder machen würde. Und jedes Mal wusste er doch schon, dass er diesen Schwur brechen würde.
    Jack Lennon wusste, dass die menschliche Seele beinahe unendlich viel Scham ertragen konnte, solange diese Scham an dem ihr zugedachten Ort blieb, tief im Innern und vor aller Welt verborgen. Viele schlechte Menschen überlebten auf genau diese Weise. Und in den stillsten Augenblicken der Nacht fragte er sich, ob er wohl auch dazu gehörte.
    Draußen vor dem Wohnblock warteten der Verwalter des Vermieters und ein uniformierter Sergeant aus dem Distrikt C. Lennon und Connolly stiegen aus dem Wagen und zeigten ihre Dienstausweise.Der Verwalter machte ein besorgtes Gesicht. Der Sergeant schaute gelangweilt drein.
    Der Verwalter stellte sich als Ken Lauler vor. Er ließ sie ins Haus, dann folgten sie ihm bis in die oberste Etage.
    »Die Wohnung wurde ursprünglich nicht von uns vermietet«, erklärte Lauler. »Vor uns war ein anderer Verwalter zuständig. Wir haben einfach nur den Mietvertrag übernommen, inklusive Nebenkosten und so weiter.«
    »Wie steht es mit der Miete?«, fragte Lennon.
    »Wird jeden Monat per Dauerauftrag überwiesen, direkt von einem Bankkonto.«
    »Wessen Bankkonto?«
    »Es läuft auf den Namen Spencer«, sagte Lauler. »Genau wie der Mietvertrag. Die Miete wird jeden Monat pünktlich überwiesen, Klagen von den Nachbarn kommen auch keine, also hatten wir nie Grund, vorbeizuschauen und irgendwelche Fragen zu stellen.«
    »Bis jetzt«, sagte Lennon.
    »Stimmt«, räumte Lauler ein. »So, da wären wir.«
    Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Die Tür ging auf.
    Lennon trat an ihm vorbei. »Scheint eine Party gegeben zu haben«, sagte er.
    Auf einem gläsernen Couchtisch lag verstreut ein halbes Dutzend leerer Bierdosen, daneben eine halbvolle Flasche Buckfast-Likörwein, loser Tabak und Zigarettenpapier. In einer Ecke stand ein lieblos dekorierter Weihnachtsbaum, am künstlichen Kamin hingen ein paar Lamettafäden.
    Lauler schnalzte angesichts dieser Unordnung missbilligend mit der Zunge.
    »Sie bleiben hier«, befahl Lennon ihm.
    Gefolgt von Connolly, betrat er die kleine Küche. Die Herdplatte sah aus, als sei sie noch nie benutzt worden. Nur der Toasterwar mit ein paar Krümeln bestäubt, und der Kessel stand in einer Lache verschütteten Wassers. Neben dem Spülbecken lagen ein Bündel schwarzer Plastikmüllbeutel und daneben eine Rolle Klebeband.
    »Scheiße«, sagte Lennon.
    »Was?«, fragte Connolly. Er musterte die Gegenstände, folgte Lennons Gedankengang und machte: »Ah.«
    Lennon zog ein paar Schubladen auf, bis auf eine waren alle leer. Darin fand er einen braunen Umschlag, in dem mehrere hundert Pfund Bargeld und ein Arbeitsvertrag steckten.
    Und ein Reisepass.
    Er holte ihn aus der Schublade. Auf dem grünen Einband stand LIETUVOS RESPUBLIKA, Republik Lettland. Er hatte solche Pässe schon gesehen. Dieser hier war schon älter, noch ohne den burgunderroten Einband, den die europäische Gesetzgebung inzwischen vorschrieb, und auch noch nicht biometrisch wie alle neuen Reisepässe. Lennon blätterte zu den persönlichen Angaben vor.
    Im Jahre 2005 ausgestellt, stand da, an Niele Gimbutiené, geboren 1988.
    Er musterte das Bild. Eine hübsche junge Frau, blondes Haar, feine Gesichtszüge. Auf der Suche nach Einreisestempeln blätterte Lennon die restlichen Seiten durch. Es gab keine. Dieser Pass hatte die Europäische Union noch nie verlassen.
    »Es könnte das Mädchen sein, das sie hier festgehalten haben«, sagte Lennon. Er hielt Connolly den Pass hin, damit der ihn sich anschauen konnte.
    »Eine Prostituierte?«, fragte Lauler von der Tür her.
    »Wofür sonst sollten sie so eine Wohnung anmieten?«
    »Ich kann Ihnen versichern«, erklärte Lauler, »die Hausverwaltung hat keinerlei Kenntnis über irgendwelche ungesetzlichen …«
    »Also, wo ist sie jetzt?«, fragte Connolly.
    Lennon gab keine Antwort. Als nächstes nahm er sich den Arbeitsvertrag vor. Der Firmenschriftzug EUROPEAN PEOPLE MANAGEMENT prangte darauf. Jeder Absatz war in drei Sprachen abgefasst: Englisch, Französisch … und Litauisch, wie Lennon annahm. Es gab zwei

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