Racheengel
aufgeschlitzt, als ich versuchthabe, dir dein Koks zu besorgen. Glaubst du etwa, damit hat es sich? Diese zwei Brüder hatten Freunde. Und diese Freunde werden die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Früher oder später wird jemand bei den Cops deinen Namen fallen lassen. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. Wir müssen sofort aus dieser beschissenen Stadt raus. Wenn wir wieder in Brüssel sind, kannst du so viel Koks haben, wie du in die Nase kriegst, aber jetzt müssen wir erst mal hier weg. Hat du mich verstanden?«
Strazdas versuchte, Herkus’ Finger von seinem Hals zu lösen, aber sie waren zu stark und hart wie Stein. Er fing an zu krächzen. Herkus lockerte seinen Griff.
»Nimm deine Hände weg«, keuchte Strazdas.
Herkus ließ los und machte einen Schritt zurück.
»Sorry, Boss, aber wir müssen hier weg.«
Hustend taumelte Strazdas zur Couch. »Hast du das Mädchen gefunden?«
»Nein«, sagte Herkus.
»Dann gehen wir nirgendwohin.« Strazdas setzte sich. »Wenn sie tot ist, dann können wir hier weg.«
»Vergiss sie, sie ist …«
»Ich habe es meiner Mutter versprochen«, unterbrach ihn Strazdas. »Und ich halte mein Versprechen. Und du solltest das auch tun. Du hattest versprochen, mir Koks zu besorgen.«
Herkus schüttelte ungläubig den Kopf. »Meine Güte, hör dich nur mal an. Vier Leute sind tot, und alles, woran du denken kannst, ist dein Koks?«
Strazdas wollte ihn schon anbrüllen, jawohl, ich kann an nichts anderes denken als an das Koks, aber ein Rest Verstand sorgte dafür, dass er es sich verkniff. Stattdessen sagte er: »Das mit den Toten bedaure ich. Ein Grund mehr, das Mädchen zu finden. Es ist ihre Schuld. Sie hat das alles ausgelöst.«
Herkus zog ein Stück Papier aus der Tasche und ließ es Strazdasin den Schoß fallen. Es war ein Umschlag, auf den ein bärtiger Mann gezeichnet war.
»Was ist das?«, fragte Strazdas.
»Das war der Letzte, der mit dem Mädchen gesprochen hat«, sagte Herkus und holte sich einen Wodka aus der Minibar. »Rasa hat mir erzählt, dass er gestern Morgen vorbeigekommen ist, aber das Mädchen hat behauptet, er habe nur reden wollen. Er hat ihr eine Kette mit einem Kreuz gegeben.«
»Glaubst du, er weiß etwas?«
Herkus kippte den Wodka in einem Zug hinunter und holte scharf Luft. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber er ist unsere einzige Spur.«
»Dann finde ihn«, verlangte Strazdas. Er hielt Herkus den Umschlag hin.
Herkus nahm ihn. »Ich tue alles, was du willst, Boss, das weißt du.«
Strazdas antwortete nicht.
»Alles, was du sagst. Aber denk bitte wenigstens darüber nach. Wenn die Cops dich nicht schnappen, dann tun es die Loyalisten. Wenn ich unterwegs bin und nach diesem Mädchen suche, kann ich dich nicht beschützen. Du musst hier verschwinden. Ich kann ja dableiben und sie suchen, aber du solltest zum Flughafen fahren und die erste Maschine nach Brüssel nehmen, die du kriegst.«
»Nein«, sagte Strazdas.
»Denk wenigstens drüber nach.«
»Nein.«
Herkus nickte. »Na schön«, sagte er. Er warf einen Blick auf die Zeichnung. »Wenn dieser Mann in dem Puff in Bangor war, dann war er auch schon in anderen. Ich höre mich mal um. Aber ich muss mich vorsehen. Es gibt da einen Mann, dem ich vertrauen kann. Dem statte ich mal einen Besuch ab.«
Herkus wandte sich um und ging zur Tür.
»Herkus«, rief Strazdas ihm nach.
Herkus blieb stehen und ließ die Schultern sinken. Er schaute zurück. »Ja, Boss?«
Strazdas tippte sich an die Nase.
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
26
Der Schmerz hinter Galyas Augen kam in Wellen. Manchmal fühlte sie sich, als würden schwere Decken sie niederdrücken, dann wieder, als trüge etwas sie in einem warmen Aufwind empor. Seit Tagen, so schien es ihr, schwankte ihr Bewusstsein nun schon so hin und her. Doch irgendein wacher Teil ihres Verstandes sagte ihr, dass es nur ein paar Stunden gewesen sein konnten.
Als sie schließlich die Lider öffnen konnte, drang ein schmerzhafter Strahl fahlen Lichts ein. Galya schloss die Augen, aber zuvor versuchte sie noch, ein wenig von ihrer Umgebung wahrzunehmen.
Ein abgedunkeltes Schlafzimmer, aber nicht das, in dem man sie fast eine Woche gefangen gehalten hatte. Dieses hier war irgendwo anders. Aber wo?
Dann fiel es ihr wieder ein.
Das heiße Blut auf ihren Händen, die Flucht durch die Nacht, der kalte Asphalt, der ihr die Fußsohlen aufgerissen hatte, der weiße Lieferwagen und sein seltsamer, freundlicher Fahrer, der sie damit
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