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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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Kommode. Sie öffnete die erste Schublade, auf der Suche nach irgendetwas, irgendeinem Gegenstand, der stabil genug war, um das Glas damit zu zerschmettern. Doch abgesehen von einer alten Zeitung, mit der der Boden ausgelegt war, war die Schublade leer, ebenso die zweite und dritte.
    Galya zog die oberste Schublade heraus, so weit es ging, und hörte den dumpfen Schlag, als die Führungsschienen an den Anschlag stießen. Sie winkelte die Lade an, ruckelte noch einmal und befreite sie aus der Kommode.
    Es war ein billiges Teil, aber solide und schwer. Galya trat ans Fenster. Sie rupfte an der Gardine, die sofort zu Boden fiel. Galya nahm die Schublade in beide Hände und hob sie in Schulterhöhe. Mit dem ganzen Schwung ihres Körpergewichts rammte sie das Holz gegen die Fensterscheibe.
    Das Glas blieb heil.
    Galya holte erneut aus und schlug noch einmal gegen die Scheibe. Sie hielt immer noch stand.
    Von oben kam wieder das Geheul, eine schmerzverzerrte, leidvolle Stimme.
    Immer wieder schlug Galya mit voller Wucht gegen die Scheibe, bis die Schublade splitterte und in ihren Händen auseinanderbrach. Die Scheibe dagegen war unversehrt. Die Stimme über ihr wurde höher und tiefer wie eine Sirene. Galya ließ sich zwischen den Splittern auf die Knie fallen und heulte zurück.

27
    Kerzengerade, die Hände auf die Knie gelegt, saß Billy Crawford auf dem verschlissenen Sofa in seinem Wohnzimmer und lauschte dem dumpfen Wehklagen über sich. Über eine Stunde hatte er nun schon im Gebet verbracht, das wusste er auch ohne Uhr. Er hatte immer schon ein untrügliches Zeitgefühl gehabt. Seit seiner Jugend ging er jeden Abend um dieselbe Zeit schlafen und wachte jeden Morgen um dieselbe Zeit wieder auf. In seinem ganzen Leben ist er noch nie zu spät gekommen, erzählten die Leute von Billy Crawford, wenn sie überhaupt je über ihn sprachen.
    Oben ging das Heulen und Schreien weiter.
    Er machte sich keine Gedanken darüber. Niemand würde etwas hören. Das alte, dreistöckige Doppelhaus stand ein gutes Stück weit weg von allen anderen Gebäuden in der Cavehill Road hier am Rande der Stadt. Dahinter lag unbebautes Land, und das Nachbarhaus war schon seit Jahren verlassen. Im Zuge der gestiegenen und dann wieder gefallenen Immobilienpreise hatte es mehrmals den Besitzer gewechselt, aber bislang war es noch keinem Makler gelungen, wieder Bewohner dafür zu finden. Und angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage würden wohl noch Jahre vergehen, bis irgendjemand es sich wieder anschaute.
    Billy hatte nicht nur sämtliche Fenster durch solche mit gehärteten Doppelglasscheiben ersetzt, sondern auch die rissigen Mauern isoliert. Es drang praktisch kein Lärm ins Haus oder aus ihm hinaus.
    Sollte das Mädchen doch schreien, so viel es wollte.
    Das hatten sie alle gemacht.
    Und alle hatte er mit seinem Gesang zum Lobe des Herrn übertönt.
    »Welch ein Freund ist unser Jesus«, sang er, tief tönte aus dem mächtigen Brustkorb seine Stimme, »o wie hoch ist er erhöht.«
    Er schloss die Augen und schmeckte die Worte auf seiner Zunge. »Er hat uns mit Gott versöhnet und vertritt uns im Gebet.«
    Das Geheul oben wurde lauter, doch seine Stimme schwoll an, erfüllte das Haus und merzte jedes andere Geräusch aus, bis sie der einzige Laut auf der ganzen weiten Welt war.

28
    Lennon klopfte an die Tür und wartete. Am Knauf hing ein »Bitte nicht stören«. Ein Zimmermädchen, das einen mit Laken und Handtüchern beladenen Rollwagen vorbeischob, lächelte ihn an.
    Ein Stück den Flur hinunter verließ, eine Aktentasche in der Hand, ein elegant gekleideter Mann mittleren Alters den Lift. Er sah auf das Hinweisschild mit dem Etagenplan, offenbar auf der Suche nach einer bestimmten Zimmernummer, dann näherte er sich der Tür, vor der Lennon wartete. Der Mann schlug zweimal mit den Fingerknöcheln gegen die Tür. Sofort ging sie auf, und er trat ein.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Lennon.
    Die Tür wurde ihm vor der Nase zugeschlagen. Wer sie geöffnet hatte, konnte er nicht erkennen, sondern er erhaschte nur einen Blick auf die Suite dahinter, mit Ledersesseln und einem riesigen Flachbildschirm.
    Er schlug mit der Faust gegen die Tür.
    Der Mann im Anzug machte auf. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Lennon spähte über die Schulter des anderen. »Ich bin Detective Chief Inspector Jack Lennon, Kriminalpolizei. Ich muss mit Mr. Strazdas sprechen.«
    Der Mann versperrte mit seinem Körper den Türrahmen. »Ihren Ausweis.«
    Lennon roch

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