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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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gähnte. Lennon griff in die erste Tasche. Leer. Dann in die zweite. Er fühlte ein Stück Papier.
    »Was ist das?«, fragte er.
    »Weiß nicht.«
    Lennon zog das Papier aus Herkus’ Tasche. Ein aufgerissener Fensterumschlag, ohne Inhalt. Auf der Rückseite befand sich diegrobe Zeichnung eines Mannes mit rundem Gesicht, dichtem schwarzen Haar und einem Bart. Lennon hielt sie Herkus unter die Nase.
    »Gehört mir nicht.«
    »Ist der Ihnen einfach so in die Tasche gefallen?«
    »Weiß nicht.«
    »Und wahrscheinlich haben Sie auch keine Ahnung, wer das auf dem Bild ist?«
    »Weiß nicht.«
    »Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, wenn ich das hier behalte.«
    Herkus streckte die Hand aus. »Jetzt gehört mir. Sie kein Recht zu nehmen.«
    Damit hatte dieser Mistkerl vollkommen recht. Lennon hatte keinen Grund, ihm den Umschlag abzunehmen. Selbst bei einer Durchsuchung unter Tatverdacht gab es kein Gesetz, das verbot, ein Bild in der Tasche zu haben. Lennon holte sein Handy aus der Tasche und hielt den Umschlag davor. Mit einem synthetischen Surren und Klicken nahm der Apparat ein Foto von der Zeichnung auf. Zusammen mit seiner Karte reichte Lennon den Umschlag zurück.
    »Sollten Sie zufällig feststellen, dass Sie doch etwas im Zusammenhang mit dem Tod Ihres Kollegen wissen, melden Sie sich.«
    Herkus verstaute den Umschlag und die Karte und machte sich daran, seine restlichen Sachen vom Dach des Mercedes zu klauben. »Ich jetzt gehen?«, fragte er.
    »Na schön«, sagte Lennon. »Aber vergessen Sie nicht, dass wir Sie und Ihren Boss im Auge behalten. Wir sehen uns bestimmt bald wieder.«
    Herkus ging zur Fahrerseite des Wagens.
    »Frohe Weihnachten«, sagte er und grinste.
    Lennon gab keine Antwort.

38
    Die Polizisten winkten Herkus in den Verkehr hinein. Bei diesem Detective witterte er Ärger. Einem Polizisten wie dem war Herkus schon einmal in Wilna begegnet. Der lag jetzt im Wald beerdigt, gar nicht weit weg von Herkus’ Frau.
    Er wählte Arturas’ Nummer. »Ich bin auf dem Weg«, sagte er.
    »Wurde auch Zeit.«
    »Die Cops haben mich angehalten«, sagte Herkus. »Sie haben mich so lange festgehalten, bis ein Detective auftauchte. Sein Name war Lennon.«
    »Breitschultrig, blondes Haar?«
    »Ja«, bestätigte Herkus.
    »Der war heute Morgen hier.«
    »Er weiß Bescheid über die Hure«, sagte Herkus. »Er weiß, dass sie Tomas getötet hat, und er weiß, dass wir sie suchen.«
    »Überhaupt nichts weiß der«, sagte Arturas. »Der streckt nur seine Fühler aus.«
    »Er weiß genug«, widersprach Herkus. »Er hat den Pass, mit dem sie hergekommen ist. Es gibt heute noch zwei Flüge nach Brüssel. Einen von Belfast und einen von Dublin. Einen davon solltest du nehmen und von hier verschwinden, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
    »Ich habe es meiner Mutter versprochen«, erklärte Arturas.»Ich habe ihr versprochen, dass ich diese Hure finde. Willst du ihr etwa erzählen, dass wir weggelaufen sind?«
    Einen Moment lang versuchte Herkus, sich das vorzustellen. Er war Laima Strazdiené erst einmal begegnet. Da war er nicht einmal ein Jahr in Belgien gewesen. In Brüssel mühte er sich mit dem Französischen ab, und kaum setzte er dann einen Fuß aus der Stadt heraus, brachte er es mit Flämisch durcheinander.
    Damals hatte er in einem Bordell in der Nähe des Gare Bruxelles-Central gearbeitet, dessen Kunden Geschäftsreisende und Diplomaten waren, die über diesen Bahnhof pendelten. Sein Aufgabenfeld war einfach: an der Tür stehen, jeden abweisen, der nach Ärger aussah, und jeden zusammenschlagen, der drinnen Zoff machte.
    An jenem Abend war zwar einiges los gewesen, aber nichts Außergewöhnliches, bis ein englischer Freier – ein Politiker namens Edward Hargreaves, wenn Herkus sich richtig erinnerte – Rabatz machte, weil eines der Mädchen ihm Geld aus der Brieftasche genommen hatte. Herkus ging auf ihr Zimmer und stellte sich zwischen die Hure und den Freier. Das Mädchen stritt alles ab. Hargreaves’ Gesicht war zornesrot.
    »Sie sagen, sie nix nehmen«, erklärte Herkus auf Englisch.
    »Und ob sie das hat«, widersprach der Freier und zog sich die Hosen hoch. »Als ich hier reinkam, hatte ich siebenhundert Euro dabei. Als ich dann das Geld rausholen und sie bezahlen wollte, waren es nur noch dreihundert. Das heißt, vierhundert Euro fehlen.«
    Herkus wandte sich zu dem Mädchen um. Wie ein Wasserfall zeterte sie auf Französisch los. Das einzige Wort, das er verstehen konnte, war enculer , was

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