Racheengel
er. »Es sieht der Frau auf diesem Bild sehr, sehr ähnlich.«
»Ich weiß von keinem Mädchen«, erklärte Herkus.
»Ich schon«, erwiderte Lennon. »Ich weiß alles über dieses Mädchen. Ich weiß, dass sie den Bruder Ihres Chefs umgebracht hat. Ich weiß, dass aus Rache Darius Banys und Sam Mawhinney getötet wurden. Ich weiß auch, dass man Mark Mawhinney heute Morgen das Genick gebrochen hat. Früher oder später werde ich auf den Gedanken kommen, dass Sie etwas damit zu tun haben. Dann muss ich Sie festnehmen und offiziell verhören.«
Herkus’ Blick wurde wieder undurchdringlich. »Englisch nicht gut«, sagte er.
»Ich frage Sie noch einmal«, wiederholte Lennon, ohne dass seine Stimme seinen Ärger verriet. »Gibt es irgendetwas, was Sie mir über den Tod von Tomas Strazdas sagen können? Oder über das Mädchen, das ihn verursacht hat?«
»Wie ich sage, ich nicht kenne Mädchen«, sagte Herkus.
»Sie sehen müde aus«, sagte Lennon und steckte den Pass wieder ein.
»Sie auch«, sagte Herkus.
»Nun ja, ich hatte eben eine lange Nacht. Ich wette, Sie auch.«
»Ja«, sagte Herkus. »Lange Nacht.«
»Wahrscheinlich umsonst gesucht«, sagte Lennon.
»Was?«
»Vergessen Sie’s«. sagte Lennon. Er lehnte sich dicht an den anderen heran und senkte die Stimme. »Hören Sie, ich habe da so ein Gerücht gehört. Vielleicht können Sie mir ja sagen, ob es stimmt oder nicht.«
»Vielleicht.«
»Dem Gerücht zufolge hat irgendein Typ, ein Freier, mit der Kleinen gesprochen, bevor sie den armen Tomas gekillt hat. Angeblich könnte dieser Freier eine Ahnung haben, wo das Mädchen hin ist. Haben Sie auch so ein Gerücht gehört?«
Herkus grinste. »Ich höre viele Gerüchte.«
»Außerdem habe ich gehört, dass eine Zeichnung von diesem Mann bei bestimmten Leuten herumgereicht und eine Belohnung ausgesetzt wurde, falls jemand weiß, wo er steckt. Was ist damit? Haben Sie auch so ein Gerücht gehört?«
Wie eine Eidechse, die in ihr Versteck huscht, ließ Herkus seinen Blick entfleuchen. »Wie gesagt, ich höre viele Gerüchte.«
»Sie haben nicht zufällig ein Exemplar dieser Zeichnung dabei?«
Auf Herkus’ Haare rieselte Schnee. »Was ist Zeichnung?«
»Ein Bild«, sagte Lennon. Die Kälte kroch unter seinen Mantel, gefolgt von einer tiefen Müdigkeit. »Es befindet sich auf der Rückseite eines Briefumschlags. Gerade werden Fotokopien davon an alle möglichen Taxifahrer verteilt.«
»Sie hören so ein Gerücht?«, fragte Herkus.
Lennon merkte, wie ihm der Geduldsfaden riss. »Schluss jetzt mit diesem Unsinn, Mr. Katilius. Ich weiß, dass Gordie Maxwell die Kopien an seine Fahrer verteilt. Ich weiß, dass Sie das Original haben. Geben Sie es her, damit wir endlich aus dieser Kälte rauskommen.«
Herkus schüttelte den Kopf. »Ich habe kein Bild.«
»Leeren Sie ihre Taschen aus«, verlangte Lennon.
»Nein«, sagte Herkus.
»Das war keine Bitte.«
»Sie haben kein Recht.« Herkus tippte sich an den Nasenflügel und zwinkerte Lennon zu. »Ich weiß so was.«
»Einen Scheißdreck wissen Sie«, erklärte Lennon. »Personenkontrollemit Tatverdacht. Sie haben Spuren von weißem Puder an der Nase, und ihre Pupillen sind geweitet. Das reicht als Grund für eine Durchsuchung. Leeren Sie Ihre Taschen!«
Herkus rührte sich nicht. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Sollen wir Sie festnehmen? Dann können wir auch gleich noch den Wagen durchsuchen.«
Herkus’ Zunge schnellte hervor und leckte über die Lippen. Dann fluchte er auf Litauisch und zog ein Bündel Banknoten in Pfund Sterling und Euro hervor, anschließend einen Schlüsselbund und eine Brieftasche.
»Das Jackett auch«, befahl Lennon.
Herkus fluchte noch einmal und legte ein paar zusammengefaltete Zettel, ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug aufs Dach.
Einen nach dem anderen sah Lennon sich die Zettel an: Hotelrechnungen, ein ausgedruckter Flugplan für Verbindungen nach Brüssel, der Kontoauszug einer hiesigen Bank mit einem Guthaben von über fünfzehntausend Pfund.
Nur keine Zeichnung.
Herkus ließ seine mächtigen Pranken hängen.
Lennon reckte sich hoch und hob den Jackenaufschlag des anderen, um an die Innentasche zu gelangen. »Haben Sie irgendwelche spitzen Gegenstände dabei?«
»Sehe ich aus wie ein Junkie?«
Lennon wischte mit dem Daumen unter der Nase des Mannes entlang und zeigte ihm das weiße Puder. »Ja«, sagte er, »das tun Sie. Wenn ich mich stur stelle, kriegen Sie mächtig Ärger. Verstanden?«
Herkus
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