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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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lüstern und kicherten einander zu. Er stellte sich vor, wie Jesus dort droben ob ihrer Respektlosigkeit weinte, und konnte sich nur mit Mühe zurückhalten zu schreien: Schluss damit! Verlacht nicht unseren Heiland!
    Einmal hatte er sich so fest auf die Lippe gebissen, dass sie blutete, und musste zur Schulschwester gehen. Dann saß er in ihrem Zimmer, in eine Wolke von Desinfektionsmittel und Schweiß gehüllt, und drückte sich einen Bausch auf den Mund, während die Wut in seinen Eingeweiden brodelte.
    »Fehlt dir was?«, fragte sie.
    Er antwortete nicht.
    »Du atmest ja so schwer.«
    Er spuckte ihr Blut auf die Uniform. Erschrocken riss sie den Mund auf und fuhr zurück. Dann beugte sie sich vor und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Als er nach Hause lief, war in seiner Hose etwas Steifes und eine wallende Hitze an einer Stelle, wo er sie noch nie gefühlt hatte.
    Dreißig Jahre war das jetzt her, und noch immer spürte er das Brennen ihrer Handfläche, wenn er sich des Nachts befühlte.
    Während er den Schlüssel in das Bolzenschloss steckte, schaute er durchs Küchenfenster.
    Er erstarrte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
    Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.
    Auf der anderen Seite der Scheibe hing keine Gardine mehr. Die Küche war vollkommen einsehbar.
    »Nein«, rief er. Halt, dachte er, jetzt bloß keine Panik.
    Mit Mühe brachte er seine Hände unter Kontrolle. Er entriegelte beide Schlösser und drückte die Tür auf. Von der Schwelle aus sah er den umgekippten Stuhl, die zerbrochene Tasse und die Gardine, die in einem Haufen auf dem Boden lag.
    Langsam trat er ein und legte die Werkzeuge auf den Boden. Geräuschlos schloss er die Tür vor der Kälte, verriegelte sie und steckte die Schlüssel ein. Er lauschte.
    Stille. Nicht einmal die Kreatur oben gab einen Mucks von sich.
    Er schaute sich in der Küche um, bemerkte die offenen Schubladen, in denen das Besteck und irgendwelcher Krimskrams schimmerten.
    Er nahm die Gerüche der stehenden Luft wahr. Schimmel und Feuchtigkeit, vermischt mit dem Duft eines Mädchens. Er ging weiter bis in die Diele. An der muffigen Luft, die dort hing, erkannte er, dass die Esszimmertür geöffnet worden war. Die Wohnzimmertür stand ebenfalls offen, und er überlegte, ob sie auch schon offengewesen war, als er das Haus verlassen hatte. Er betrat das Zimmer. Seine Bibel lag an ihrem angestammten Platz. Das Sofa war unberührt.
    Er wandte sich zum Sekretär um, sah die offenen Schubladen, das zersplitterte Holz.
    Seine Schätze, wie Unrat auf der Schreibunterlage verstreut.
    Er stieg die Treppe bis zum Absatz hoch. Die Schranktür stand offen. Er sah verstreut herumliegende Handtücher, zerborstenes Holz, Staub vom Putz, und er begriff.
    Zorn kochte in ihm hoch, und er brüllte.

41
    Galya zuckte zusammen, als sie das Brüllen hörte. Sie machte sich in der Dunkelheit ganz klein und lauschte. Hart polterten seine langsamen Schritte auf den nackten Treppenstufen, dann hörte sie ein Schlurfen auf dem Flurboden, über ihrem Kopf.
    Die feuchtkalte Kellerluft kroch ihr unter die Haut, rann in ihre Muskeln und erinnerte sie daran, wie erschöpft sie war.
    »Ich weiß, dass du noch im Haus bist«, rief er. Gedämpft drang seine Stimme durch die geschlossene Kellertür oben an der Treppe. »Ich kann dich riechen. Ich weiß, dass du mich hören kannst.«
    Galya drückte sich noch weiter in die Ecke, hinter eine alte, leise und beständig summende Gefriertruhe.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, rief er. Der Flurboden knarrte unter seinen Schritten. »Ich will dir doch nur helfen. Mehr nicht.«
    Galya tastete den Linoleumboden ab, auf der Suche nach etwas Schwerem oder Spitzem, irgendeinem Gegenstand, den sie als Waffe benutzen konnte. Alles, was sie fühlen konnte, waren Wellen und Rinnen auf der Oberfläche, so als sei der Beton darunter aufgebrochen und wieder aufgefüllt worden.
    »Ich weiß, dass du ein paar … Sachen gefunden hast.« Die Schritte machten an der Tür über ihr Halt. »Ich weiß, das muss komisch aussehen. Dass man so etwas aufhebt. Aber ich möchte nicht, dass du dir Gedanken machst. Alles wird gut.«
    Langsam schob sich Galya an der Wand entlang, weg von der Kühltruhe. Ein schweres hölzernes Holzmöbel versperrte ihr den Weg. Ein Schrank. Die Türen waren unverschlossen und ließen sich öffnen.
    »Diese Leute, von denen ich dir erzählt habe«, kam seine Stimme von oben an der Treppe. Nur noch eine Tür befand sich zwischen ihm und ihr. »Mit denen

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