Racheengel
hinter den Jungs her. Dachte immer, die würden sie mehr mögen, wenn sie alles mit sich machen ließ. Ohne Sinn und Verstand. Als dann die Soldaten kamen, wurde es noch schlimmer. Denen hat sie sich regelrecht an den Hals geworfen. Und ein hübsches Ding war sie ja schon, deshalb gab es eine Menge Soldaten, die mit ihr ausgehen wollten. Natürlich war sie nicht gescheit genug , die Beine zusammenzuhalten, also kriegten sie, was sie wollten, und damit hatte es sich dann, bis sie wieder hinter einem anderen her war. Unserer armen Mutter hat es schier das Herz gebrochen. Mehr als einmal musste sie was aus der Welt schaffen lassen, und nicht etwa von einem Arzt, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Bei der Vorstellung verzog Sissy angewidert den Mund.
»Irgendwann gab es dann einen Soldaten, der schon kurz vor seiner Entlassung aus der Army stand, als er was mit ihr anfing. Der kann auch nicht besonders helle gewesen sein, denn ehe wir uns versahen, gingen die beiden zusammen. Als festes Pärchen, meine ich. Und als sein Militärdienst herum war, haben sie geheiratet.«
Sissys Augen schauten beim Erzählen ins Leere. Das flackernde Licht des Fernsehers spiegelte sich in ihrem Glanz, und dahinter liefen Sissys Erinnerungen ab.
»Ich kann mich noch gut daran erinnern. Nur standesamtlich, nicht mal in der Kirche. Damals konnte man es schon sehen. Unsere Ma hat uns zwei mit in die Stadt genommen, um für die Feier neue Kleider zu kaufen, und sie ist beinahe gestorben, als sie in der Umkleidekabine Coras Bauch gesehen hat. Mitten im Laden hat sie ihr ein paar Ohrfeigen verpasst. Mein Gott, bis heute höre ich sie schreien.
Damals war es noch eine Schande, wenn man schon bei der Hochzeit schwanger war. Heutzutage kriegen die jungen Dinger ja ein Kind nach dem anderen, ganz egal, ob sie einen Daddy dafür haben oder nicht.
Meine Ma sagte jedenfalls, Gott sei Dank, dass du heiratest, und damit fertig. Richtig gefeiert wurde nicht, wir fünf sind nur in einen Pub, und es gab einen Teller mit Sandwiches. Cora und ihr Typ, irgendein Kumpel von ihm und ich und unsere Ma. Cora und die zwei Jungs haben sich bis obenhin volllaufen lassen. Damals haben sich die Mädels noch keine Gedanken übers Trinken gemacht, wenn sie schwanger waren. Ich und meine Ma tranken jede ein halbes Guinness und haben sie dann allein weitermachen lassen.«
Sissy unterbrach sich und sah Lennon an. »Haben Sie Nachwuchs?«
»Eine kleine Tochter«, sagte Lennon.
Sissy schnalzte kopfschüttelnd mit der Zunge. »Kleine Mädchen sind die schlimmsten. Die brechen einem das Herz.«
Da Lennon darauf nichts sagte, seufzte sie und fuhr fort.
»Also sind die zwei nach England. Nach Salford, um genau zu sein, das gehört zu Manchester.«
»Ich weiß«, sagte Lennon.
»Na, ich wusste es jedenfalls nicht. Erst, als ich irgendwannmal zu Ostern rübergefahren bin und sie besucht habe. In einem fürchterlichen alten Loch haben sie gehaust. Dachgeschoss, ein Schlafzimmer, das Waschbecken in einer Wohnzimmerecke, und die Toilette mussten sie sich mit irgendwelchen Farbigen teilen, die unter ihnen wohnten. Drei Tage war ich da, und den Ehemann habe ich kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Der war die ganze Zeit auf Sauftour oder hinter anderen Weibern her, jede Schlechtigkeit, die ihm nur in den Sinn kam. Mit Cora ging es damals schon begab. Sie gab sich alle Mühe, so zu tun, als sei alles in Ordnung, aber man merkte, dass sie aus den Fugen geriet. Kennen Sie das, wenn man unerwartet bei jemandem reinschneit und der dann panikartig anfängt aufzuräumen? Zeitschriften hinter das Sofa zu schieben, das schmutzige Geschirr in die Spüle zu werfen und solche Sachen? So war sie. Nicht im Haushalt, meine ich, sondern innerlich. Als hätte sie ihren ganzen Irrsinn zusammengeklaubt und weggepackt. Aber man konnte ihn trotzdem noch sehen, in ihrem Blick.
Und dann der kleine Edwin. Der war damals vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Hatte kaum was am Leib, das ihm passte. Ich habe ihm ein Osterei gekauft, und wie er sich darüber hergemacht hat, hätte man meinen können, es wäre das letzte Stückchen Schokolade auf der Welt. Aber Edwin habe ich an diesem Wochenende auch kaum zu Gesicht bekommen. Die meiste Zeit schloss Cora ihn mit einer Bibel im Schlafzimmer ein. Stunden um Stunden hat er da drinnen gehockt.
Tja, nachdem sie weggegangen war, ist sie fromm geworden. Sozusagen. Das ganze Wochenende lang hat sie versucht, mich zu bekehren. Hör mal, hab ich ihr gesagt,
Weitere Kostenlose Bücher