Racheengel
drang. Bevor sie sich seinem Griff entwinden konnte, drückte er den Kolben herunter, dann stieß er sie durch den Keller. Sie prallte an die gegenüberliegende Wand und fiel weinend zu Boden.
»Still«, befahl er. »Das hat doch nicht etwa wehgetan, oder?«
Das Mädchen sprach nur mit sich selbst, brabbelte wieder in ihrem Kauderwelsch ihr Gebet.
»Du hättest dabei eine Tasse Kaffee trinken und einen kleinen Happen essen können, wenn du eben auf mich gehört hättest. Jetzt sieh dich nur an.«
Ihr Gemurmel wurde schleppender, ihr Kopf sackte nach unten.
»Aber so wirkt es schneller«, sagte er und trat einen Schritt näher heran. »Im Nu bist du weggetreten. Du kannst ruhig schlafen,ich kümmere mich schon um alles. Keine Sorge, alles wird gut. Bald bist du zu Hause.«
Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, lag sie still und reglos da. Also machte sich der Mann, der sich Billy Crawford nannte, an die Arbeit. Mit Störungen rechnete er nicht. Schließlich war Heiligabend.
49
Lennon parkte vor dem roten Backsteinhaus. Drei Stockwerke, ein kleiner, ungepflegter Garten. Die Sorte Haus, die sich noch vor drei Jahren bestimmt irgendein Bauinvestor unter den Nagel gerissen und in Mietwohnungen aufgeteilt oder in ein luxuriöses Einfamilienhaus verwandelt hätte. Den meisten Häusern in der Gegend war es so ergangen. Diesem aber nicht.
Er holte sein Handy aus der Tasche und öffnete die E-Mails. Connolly hatte die Informationen kopiert und in die Mail eingefügt und auch ein Bild aus der ViSOR-Datenbank angehängt. Jetzt verstand Lennon, warum die Akte bei Connolly alle Alarmglocken hatte schrillen lassen. Wenn man sich abwechselnd das Foto und die Skizze ansah, war die Ähnlichkeit unbestreitbar. Das gleiche runde Gesicht, die gleiche breite Nase. Kein Bart, aber das besagte nichts. Es war die Narbe über der Augenbraue, die den Ausschlag gab. Auf der Skizze befand sich diese Narbe über dem falschen Auge, auf dem Foto war sie über dem linken. Aber da hatte der Künstlerin zweifellos nur die Erinnerung einen Streich gespielt. Keine Frage, das war der Mann, nach dem die Litauer suchten.
Lennon las den Rest der Mail durch, aber gegenüber dem, was Connolly ihm schon am Telefon erzählt hatte, gab es wenig Neues. Die Prostituierte war samstags gegen zehn Uhr in der Sackville Street im Zentrum von Manchester aufgegabelt und am nächstenMorgen um sieben Uhr gefesselt im Laderaum von Paynters Transporter entdeckt worden, bei einer routinemäßigen Alkoholkontrolle der Verkehrspolizei irgendwo im Stadtbezirk Salford.
Paynter hatte keine Erklärung liefern können, warum die junge Frau gefangen gehalten wurde. Sie hatte im Verlauf ihres Martyriums nur geringfügige Verletzungen davongetragen und bei der Vernehmung ausgesagt, ihr Kidnapper habe ihr betend die Füße gewaschen und sein Handeln mit Jesus verglichen. Danach habe er versucht, sie zu vergewaltigen, aber keine ausreichende sexuelle Erregung zustande gebracht, um den Missbrauch auch tatsächlich zu vollziehen.
Eine weitere eigentümliche Randnotiz war, dass Paynter erhebliche Zeit darauf verwendet hatte, ihr die Zähne zu reinigen.
Als es zum Prozess kam, hatte Paynter auf schuldig plädiert und daher nicht vor Gericht aussagen müssen. Das Verfahren war nach anderthalb Tagen abgeschlossen.
Nach seiner Freilassung war Paynter ins Haus seiner Mutter in der Eccles Road zurückgekehrt und als Sexualstraftäter registriert worden. Bis seine Mutter zwei Jahre später starb, war er nie mehr auffällig geworden. Nur wenige Tage nach ihrer Beerdigung teilte er der Polizeibehörde von Manchester mit, er beabsichtige, nach Nordirland zu ziehen und bei seiner Tante in Belfast zu wohnen. Da er von Beruf Bauarbeiter war, hatte ihm der vom Frieden entfachte Immobilienboom sicherlich ausreichend Arbeit beschert.
Als Sexualstraftäter meldete er sich pflichtschuldig bei der nordirischen Polizei und wurde auch wie gefordert ein Jahr später wieder vorstellig
Und dann verschwand er.
Die ermittelnden Beamten hatten alles unternommen, was sie konnten. Sie hatten jeden befragt, der ihn kannte, und das waren nicht viele, aber herausgefunden hatten sie nichts. Seit seiner Entlassung hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen, und da diePersonaldecke dünn war, wurde nach ein paar Wochen seinem Verschwinden keine große Beachtung mehr geschenkt.
Seine Tante hatte Stein und Bein geschworen, sie habe keine Ahnung, wo er hin sei. Der Finanzbeamte, der seine Steuererklärung
Weitere Kostenlose Bücher